1. Inklusiver Schrift(sprach)erwerb Deutsch
- Author
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Böhm, Manuela, Hohenstein, Christiane, Böhm, Manuela, and Hohenstein, Christiane
- Abstract
Die OBST-Ausgabe soll disziplinäre Übergänge kenntlich machen und sie soll in einer Öffnung auf inklusive Ansätze der Schrift-Sprach-Vermittlung aufzeigen, wie die sprachwissenschaftliche Erforschung von Prozessen des Schriftspracherwerbs bzw. der Schriftsprachaneignung zu einer inklusiven Sichtweise beitragen kann. Eine hohe Aktualität erfährt die Auseinandersetzung mit schriftsprachlichen Kompetenzen einerseits im Zusammenhang mit der Digitalisierung aller Lebensbereiche, andererseits mit der Notwendigkeit, die UN-BRK und die UN-Nachhaltigkeitsziele 2030 umzusetzen.2 Sie spiegelt sich auch in der Bewegung zur inklusionsorientierten Lehrerinnen- und Lehrerbildung (Hußmann & Welzel 2018, Rott, Zeuch, Fischer, Souvignier, & Terhart 2018, Rödel & Simon 2019), in der die Sprache indessen (noch) nicht als zentrales Thema gesetzt ist. Innerhalb des Spektrums der genannten Themen betrifft ein Bereich den schulischen Schriftsprachaneignungsprozess in mehrsprachigen Konstellationen und in dialektal geprägten Räumen, in denen gesprochene und geschriebene Sprache in besonderem Maße differieren. Der Aneignungsprozess durch Lernende im Spannungsfeld zwischen gesprochenem Dialekt und schriftsprachlichem Standard wird bereits in früheren Arbeiten z. B. zu Schülerinnen und Schülern mit Deutsch als Erstsprache (Ammon 1972 a, b; 1973) und in sprachdidaktischen Ansätzen (z. B. Hasselberg 1982, Dehn 1986, Meiers 1998) bearbeitet. Obwohl eine breite Forschungsgrundlage zu Schriftspracherwerb von Kindern im DaZ-Bereich vorliegt, 3 fehlen aktuelle, empirisch basierte Untersuchungen und methodisch-konzeptionelle Überlegungen, die intersektional hoch diversifizierten Gruppen von Lernenden gerecht werden. Denn so unterschiedlich wie die Sprachräume sind die Lernenden mit ihren jeweiligen Erwerbsbedingungen: Für Kinder beim Schuleintritt, Erwachsene im Zweitschrifterwerb oder Personen, die nicht mit einer Alphabetschrift sozialisiert worden sind, gelten unterschiedliche Bedingungen des Erwer, Seit den frühen OBST-Ausgaben besteht eine Kontinuität in der Auseinandersetzung mit Schriftaneignung.1 Der Erwerb der Schrift und der Schriftsprache ist in den deutschsprachigen Ländern (hier im Fokus: Deutschland, Österreich, Deutschschweiz) die Voraussetzung für einen erfolgreichen Verlauf der Bildungskarriere und für gesellschaftliche Partizipation. Beide, Schrift und Schriftsprache, sind nicht das Resultat einer natürlichen Entwicklung, sondern erfordern Ausbildung und kontinuierliche Entfaltung bis in das Berufs- und Erwachsenenleben hinein. Ein wichtiger Schritt dahin ist die Aneignung von Schrift und Schreiben als Basis für den Auf- und Ausbau konzeptioneller Schriftlichkeit und einer formal-öffentlichen Registerkompetenz (Feilke 2011, Maas 2008). Die didaktischen Überlegungen dazu reichen zurück bis ins 19. Jahrhundert und sind in einer Reihe von Disziplinen verankert, deren Ergebnisse bis heute weitgehend unverbunden nebeneinander stehen. Zu nennen sind hier die Grundschul- und Sonderpädagogik, die (Lern-)Psychologie, die Sprachdidaktik der Erst-, Zweit- und Fremdsprache Deutsch, die Linguistik der inneren und äußeren Mehrsprachigkeit, die Sprachgeschichtsschreibung und die seit 2000 stark angewachsene Schreibforschung, die mit der Digitalisierung zunehmend in den Bereich des standardsprachlichen Schriftspracherwerbs drängt. Wenn wir im Titel von inklusivem Schrift- und Schriftspracherwerb in Bezug auf das Deutsche sprechen, muss zunächst der zugrundegelegte Inklusionsbegriff geklärt werden. Eine inklusive Deutschdidaktik wird für den Primarschul- und Regelschulbereich erst seit 2014 diskutiert (vgl. Haddara 2018). Für diese sind ein erweiterter Schrifterwerbsbegriff sowie erweiterte Begriffe des Lesens und Schreibens zentral, die einen grundlegenden Einbezug aller Diversitätskategorien und ein Verständnis von Intersektionalität erfordern (ebd. S. 43–44). Ebenso erscheint eine Erweiterung des Blicks über den schulischen Bereich hinaus notwendig. Vor diesem
- Published
- 2024