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1. Ziel der vorliegenden Arbeit ist eine auf der zweiten Metaebene liegende Ubersicht uber wichtige sprachtheoretische Aussagen zum Phanomenbereich ›deutscher Wortschatz‹ im Sinne von ›Lexikon des Deutschen‹, die beschreibungstheoretisch-methodischen Wege zu seiner Analyse sowie den je nach Sprach- und Beschreibungstheorie unterschiedlichen Charakter bisheriger Forschungsergebnisse. Eine solche Zielsetzung erfordert eingangs eine Definition des Gegenstandsbereiches. Dabei soll das Adjektiv deutsch nicht weiter problematisiert werden. Es dient lediglich zur Bezeichnung derjenigen Einzelsprache, auf die sich die hier zu beschreibenden lexikologischen Bemuhungen richten.

0. Solange es eine semantisch orientierte Sprachwissenschaft gibt, so lange hat man der Sprache, insbesondere aber dem Wortschatz, implizit oder explizit eine Erkenntnisfunktion, d. h. eine bestimmte Rolle fur die Konstitution der Begriffe und sogar der Wahrnehmung zugeschrieben. Die Grosen, die dabei in einen einseitigen oder wechselseitigen Bedingungszusammenhang gebracht werden, sind 1) die ausersprachliche Realitat, 2) die nicht einzelsprachlich gebundenen Begriffe von dieser Realitat, 3) die einzelsprachsspezifischen Sprachinhalte (Einzelbedeutungen des Wortes, Sememe), 4) die gesellschaftlich-kulturellen Verhaltnisse und 5) der Mensch als Individuum und als Gruppe. Die unterschiedlichen Zuordnungen, die zwischen diesen Grosen vorgenommen wurden, lassen sich uberschaubar machen, wenn man sie aus dem erkenntnistheoretischen Gegensatz von Realismus und Idealismus herleitet.

1. In allen vorausgehenden Kapiteln wurde der deutsche Wortschatz als historisch, geographisch und sozial undifferenzierte, homogene Grose vorausgesetzt. Diese Voraussetzung, die unabhangig von der jeweiligen Funktion und theoretischen Auffassung von Sprache galt, war ausschlieslich aus analytischen Grunden gemacht worden und ist keinesfalls als Aussage uber die Sprache zu verstehen. Es ist im Gegenteil so, das sprachliche Auserungen je nach Situation, ferner nach Alter, sozialer Schicht, geographischer Herkunft, Redeabsicht des Sprechers und vielen anderen Faktoren variieren und das diese Variation, will man sich nicht einer Idealisierung schuldig machen, die uber heuristische Zwecke hinausgeht, in irgendeiner Weise bei der Konstruktion von Systemen berucksichtigt werden mus. Dies ist im Laufe der Wissenschaftsgeschichte auch immer wieder geschehen. Die herkommliche Beschreibung der geographischen, historischen und sozialen Komponente des Lexikons durch die Wortgeographie, -geschichte und -Soziologie hat diesem Ziel, obwohl sie anderen Erkenntnisinteressen entsprang, ebenso gedient wie moderne Forderungen, Sprache als ›architektonisch‹ strukturiertes ›Diasystem‹ (E. Coseriu 1970, S. 32–34), als ›System koexistierender Grammatikern‹ (S. Kanngieser 1972, S. 102), als System unterschiedlicher, im Bewustsein von Individuen ›koprasenter‹ Elemente (H.-M. Gauger 1970, S. 9 ff.), als ›System von Varietaten‹ (W. Klein 1974, S. 9) zu begreifen, das durch ›structural heterogeneity‹ oder ›orderly differentiation‹ usw. (U. Weinreich/W. Labov/M. I. Herzog 1968, S. 101) gekennzeichnet sei.

0,1. Die Grosen, die zur Beschreibung der Kommunikationsfunktion des Wortschatzes herangezogen werden, schwanken in den einzelnen Arbeiten je nach zugrundeliegender Sprachtheorie, Darstellungszweck, Detailliertheit usw. erheblich. Als Invarianten solcher Beschreibungen scheinen mir die folgenden unabdingbar: mindestens zwei Kommunikanten, die wechselseitig als Sprecher (Schreiber) und Horer (Leser) fungieren, die Mitteilungsintention des Sprechers, die soziale Gruppe von Sprecher und Horer, eine irgendwie verstandene Sache, die nicht sprachlichen Vorstellungsund Denkinhalte des Horers, ein irgendwie verstandener sprachlicher Kode.

0. Die Darstellungsfunktion des Wortschatzes ist am differenziertesten von der Semasiologie und Onomasiologie beschrieben worden. Beide, unter Kap. 2, 1, 2, 3 und 2, 4 beschriebene Verfahren haben sich zwar immer wieder mit der Kommunikations- und Symptomfunktion und relativ ausfuhrlich mit der Erkenntnisfunktion der Sprache befast, aber ihr primares Interesse war in allen ihren Richtungen und seit ihrer Existenz als wissenschaftlicher Disziplinen eindeutig auf die Darstellungsfunktion gerichtet. Dies berechtigt dazu, im folgenden ausschlieslich die darstellungsfunktional orientierten sprachtheoretischen Annahmen, Beschreibungsmethoden und Ergebnisse von Onomasiologie und Semasiologie zu behandeln. Dazu wird eine Scheidung in einen paradigmatisch-assoziativen und einen syntagmatisch-linearen Teil vorgenommen.

Gegenstand der Wortforschung ist das Wort. Es findet im Rahmen der ubrigen Spracheinheiten seine Stellung zwischen Morphem und syntaktischer Fugung. Das Morphem konstituiert sich seinerseits aus einem oder mehreren Phonemen, und die syntaktische Fugung bildet zusammen mit einer oder mehreren anderen Fugungen den Satz, der sich nochmals mit einer Reihe anderer Satze zusammenschliesen kann zum Text.

Entsprechend der Konstituierung des sprachlichen Zeichens aus Lautkorper und Bedeutung existieren innerhalb der Wortforschung die auf jeweils eine dieser Grosen bezogenen beiden Betrachtungsrichtungen Bezeichnungslehre oder Onomasiologie und Bedeutungslehre oder Semasiologie.