In öffentlichen und fachlichen Debatten, die um Schrift und Schreiben geführt werden, wird notorisch auf den Stellenwert der damit verbundenen literalen Praktiken in modernen, schriftkulturell geprägten Gesellschaften verwiesen. Florian Coulmas (2013, IX) bringt die phylogenetische Sprachfähigkeit des Menschen und die kulturhistorische Leistung der Schrifterfindung in einen engen ursächlichen Zusammenhang, indem er schreibt: „If language is the most distinctive inborn trait of our species, writing is our most consequential invention.“ Die bemerkenswerte Dynamik der ‚Erfindung‘, Ausbreitung, Ausdifferenzierung und Demotisierung von Schrift und Schreiben erklärt sich aus ihrer politisch-soziokulturellen Funktion und den kognitiv psychomentalen Folgen für Denkund Verarbeitungsprozesse, die sie in den von ihr affizierten Gesellschaften bewirken konnte (Goody 1986; Goody/Watt/Gough 1986; Maas 1985; Ehlich 1980; 1994). Entscheidend für diese Dynamik sind der jeweilige kulturelle Umgang mit Schrift, Lesen und Schreiben sowie die materiellen Bedingungen dieser sprachlichen Praktiken. Die Lektüre eines Reiseblogs, das Anfertigen und Nutzen von Notizen als Merkhilfe, das Annotieren von Texten für Studienzwecke, das Durchsuchen eines Newsletters nach Veranstaltungshinweisen, das Schreiben eines Tagebuchs, das Einrichten einer Abwesenheitsnachricht – das alles sind Beispiele für in konkrete soziale Kontexte eingebundene literale Praktiken, die offen legen, wie Menschen von Literalität Gebrauch machen, welche Funktion und Bedeutung diese Praktiken für sie haben und mit welchen spezifischen Sprachhandlungen und sprachlichen Mitteln diese verbunden sind (vgl. Street 1993; Ehlich 2007; Sebba 2007; Maas 2010; Grond 2018). Es geht also nicht „um ein Entweder/Oder von oraten/literaten Strukturen, sondern um die Frage danach, wie die in einer sozialen Gemeinschaft genutzten (von den einzelnen gemeisterten) Ressourcen praktiziert werden“ (Maas 2010, 37). Sowohl analog als auch digital v