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Die Geschichtspolitik zum Thema Nationalsozialismus in der Ära Kreisky

Authors :
Pschernig, Lino
Publication Year :
2021

Abstract

Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt Österreich „als erstes Opfer“ das „Sonderprivileg“, die Jahre 1939-45 weitgehend hinter sich zu lassen und die „Stunde null“ einzuläuten. Sie ebnete ein freies Feld zur Neuverhandlung identitätsstiftender Staatsnarrative. In der vorliegenden Arbeit geht es zu Beginn darum, die Rahmenbedingungen und Hintergründe dieser Neuauslegung der österreichischen Historie zu deuten und zu beleuchten. Dabei liegt der Fokus vor allem auf den vorangestellten geschichtspolitischen Fragestellungen, nach Instrumentalisierung historischer Ereignisse, selektiver Geschichtsbetrachtung, sowie der Konstruktion konstitutiver und identitätsbekundender Narrative. Ebenso gilt es, mögliche Veränderungsprozesse und Aufweichungstendenzen geschichtspolitischer Mythen, mit Fokus auf das verzerrte Opferselbstbild, im Laufe der untersuchten Perioden zu erkunden. Auch markante Ereignisse, wie die Februarkämpfe 1934, die prägend für die ambivalenten geschichtspolitischen Deutungszugänge der beiden Großparteien SPÖ und ÖVP waren, werden knapp umrissen, zumal sich ihr Bedeutungsgehalt vor allem innerhalb der Kreisky-Jahre (1970-1983) maßgeblich auf Kreiskys misstrauisches Verhältnis zur ÖVP bzw. seine liberale Beziehung zur FPÖ sowie den ehemaligen Nationalsozialisten auswirkte. Nachdem Geschichtspolitik in starker Wechselwirkung zur Gesellschaft steht, unterliegt die Arbeit dem Anspruch, die geschichtspolitischen Prozesse stets im Spannungsverhältnis zur gesellschaftlichen Rezeption zu erfassen. Demnach geht es auch um eine Bestandsaufnahme des politischen und gesellschaftlichen Umgangs mit jenen Protagonisten/-Innen, die es wagten, kritische Gegendiskurse einzufordern. Insofern soll eine Annäherung an die Entstehung der Zeitgeschichte als Forschungsdisziplin samt ihrer federführenden Akteure/-Innen erfolgen, um Einblicke in das damalige Forschungsgeschehen zu erlangen. Fragen nach dem Wandel sowie den antreibenden Motiven der thematischen Schwerpunktsetzungen bilden ebenso Gegenstand der Betrachtung, wie auch der Grad an politischer Einflussnahme auf die Zeitgeschichtswissenschaft. Nachdem aktuell immerzu die Waldheimdebatte als die alleinstehende Zäsur für die Erosion des Opfermythos hochstilisiert wird, soll in der vorliegenden Arbeit geklärt werden, ob sich auch schon während der „Kreisky-Ära“ signifikante Verschiebungen aufdrängten, die einen Beitrag zur Aufweichung des Opferstatus leisteten. Im Rahmen des verfolgten Anspruchs einer breiten „Gesamtaufnahme“ bilden die Skandale um Wiesenthal und Kreisky einen zentralen Gegenstand der Ausarbeitung. Dabei stechen zum einen die geschichtspolitischen Funktionsweisen, die der brisante Konflikt bereitstellte, hervor, zum anderen rückte im Zuge des Streits auch die biographische Dimension um die jüdische Herkunft des Bundeskanzlers in den Vordergrund des Diskurses. Nicht nur innenpolitisch, sondern auch außenpolitisch, allen voran im (un)diplomatischen Zugang zu Israel, entfaltete die bewusste Instrumentalisierung des biographischen Hintergrunds Wirksamkeit. Anhand des Umgangs mit dem Nahostkonflikt lassen sich auf der Ebene der verdrängten kollektiven Vergangenheit hervorragend jene typischen Abwehrmuster hervorheben, die auch schon innerhalb der „Wiesenthal-Affäre“ den Diskurs dominierten. Der rege Zuspruch zur Nahostpolitik, der sich u.a. im gesteigerten Nationalbewusstsein der Österreicher/-Innen niederschlug, gibt zudem Einblicke über die überwiegend unreflektierte Akzeptanz, die sich quer durchs gesamte Gesinnungsspektrum durchzusetzen vermochte. Neben Bruno Kreisky nahm auch sein Justizminister Christian Broda eine wichtige Stellung im geschichtspolitischen Geschehen ein. Dahingehend erfährt Brodas Einfluss auf die gerichtliche Aufarbeitung der österreichischen Nazivergangenheit besondere Beachtung. Sowohl die geleisteten Ahndungserfolge als auch die justizpolitischen Unterlassungen und Versäumnisse der Strafverfolgung werden diskutiert. Die letzten beiden Abschnitte behandeln zwei dicht aufeinander folgende Ereignisse, die zwar nicht dem direkten Einfluss der Politik unterstanden, aber dennoch, oder gerade deswegen brisante geschichtspolitische Wirkkraft entfalteten. Den Anfang machte das Jahr 1978, das im Zeichen des 40-jährigen Gedenkens an den Anschluss stand. Im zeithistorischen Diskurs wird das Jahr auch als eine neue Phase der Vergangenheitsbewältigung betitelt. Dieser Feststellung wird im folgenden Kapitel nachgegangen. Intensivere Betrachtung erfahren die Auswirkungen des national wie international vielbeachteten Medienspektakels „Holocaust“ 1979. Auf Grundlage von durchgeführten Meinungserhebungen, lassen sich die Effekte von „Holocaust“ valide nachvollziehen. Außerdem liefern uns Bestandsaufnahmen des Medienspiegels sowie die Ermittlung nach konkreten politischen Reaktionen Auskünfte über mögliche Wandlungen des Geschichtsumgangs, zugunsten einer intensivierten Aufklärungsbereitschaft.<br />Lino Pschernig<br />Diplomarbeit Universität Klagenfurt 2021

Details

Language :
German
Database :
OpenAIRE
Accession number :
edsair.od......4193..a68a08be8ce635c3d97eab53af04a1a2