1. Palliativversorgung statt Lebensverkürzung
- Author
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T. Sitte and C. Schütz
- Subjects
Gynecology ,03 medical and health sciences ,medicine.medical_specialty ,0302 clinical medicine ,Philosophy ,010401 analytical chemistry ,medicine ,030216 legal & forensic medicine ,01 natural sciences ,0104 chemical sciences ,Pathology and Forensic Medicine - Abstract
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 07.03.2017 (3 C 19/15) in Bezug auf einen Fall des Jahres 2005 die Moglichkeit eines Rechtsanspruchs auf die Erlaubnis zum Erwerb eines Betaubungsmittels (BtM) zur Selbsttotung bejaht. Die (verfassungs)rechtliche Bewertung und Erorterung der Konsequenzen des Urteils fur die Zukunft. Uberprufung der Urteilsgrunde am Masstab der aktuellen Grundrechtsdogmatik, insbesondere des Verhaltnismasigkeitsgrundsatzes, und kritische Betrachtung der tatsachlichen Annahmen des Gerichts vor dem Hintergrund der Palliativmedizin sowie des zwischenzeitlich hochstrichterlich bestatigten Rechts auf das „Sterben-Durfen“. Das Urteil entspricht in seiner Begrundung der modernen Grundrechtsdogmatik. Das Erwerbsverbot fur BtM zwecks Suizid stelle einen Eingriff in das allgemeine Personlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit 1 Abs. 1 GG) dar, der grundsatzlich gerechtfertigt sei. Die Rechtfertigung des Verbots entfiele jedoch im Falle unertraglichen Leidens, wenn dem Betroffenen keine „andere zumutbare Moglichkeit zur Verwirklichung des Sterbewunsches zur Verfugung steht“. Allerdings bietet die Palliativmedizin jedem Betroffenen rechtlich zulassig genau diese „andere zumutbare Moglichkeit“. Nachdem der Bundesgerichtshof mit Urteilen vom 25.06.2010 (2 StR 454/09) und 17.09.2014 (XII ZB 202/13) straf- und betreuungsrechtlich das Recht des Einzelnen zum „Sterben-Durfen“ bestatigt hat, kann dies durch die Palliativmedizin ermoglicht werden, ohne dass es eines Zugangs zu BtM zur Selbsttotung bedarf. Die Perspektive des Bundesverwaltungsgerichts fur das Jahr 2005 kann daher rechtlich und faktisch heute nicht mehr aufrechterhalten werden. Fur die Zukunft bedarf es daher keiner Erlaubniserteilung mehr fur den BtM-Erwerb zum Suizid.
- Published
- 2018