Karrieren in Stahlbeton Stahlbeton ist heute ein omnipräsentes Baumaterial, das die Druckfestigkeit des Betons mit der Zugfestigkeit des Stahls kombiniert. Graue Betonoberflächen, die versteckte Metallkerne umhüllen, prägen weite Teile des menschlichen Technotops und werden allenfalls aus ästhetischen Gründen abgelehnt. Ob verschämt mit Natursteinen verkleidet oder selbstbewusst präsentiert – die Funktionalität dieses Materials steht heutzutage nicht ernsthaft infrage. Vor einhundert Jahren war es dagegen keineswegs selbstverständlich, Bauten in Stahlbeton zu konstruieren. Vielmehr blieb es einer kleinen Avantgarde von Bauingenieuren vorbehalten, das Fundament für die heute fest etablierte Stahlbetonbauweise zu legen. Diese Schrift widmet sich einem von ihnen: dem Ordinarius der Technischen Hochschule Dresden Willy Gehler (1876–1953), der hier studierte, lehrte, forschte und mit seinen Bauten im Dresdner Stadtgebiet Spuren hinterlassen hat. Einerseits ist Gehlers Vita von wissenschaftlichem Interesse, da sie eng mit den Pioniertaten des Stahlbetons in Deutschland verbunden ist. Anderseits lässt sich an seinem Beispiel das Wirken von Technikwissenschaftlern in vier unterschiedlichen politischen Systemen untersuchen, da der Protagonist unserer Narration im Deutschen Kaiserreich, in der Weimarer Republik, in der Zeit des Nationalsozialismus und in der DDR aktiv war und als engagierter Vertreter seines Berufsstandes hervortrat. Die Beschäftigung mit Willy Gehler ist mithin geeignet, Kontinuitäten und Brüche in den Biografien bürgerlicher Eliten aufzuzeigen, und exemplarische Schneisen in die Bau-, Hochschul- und Wissenschaftsgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu schlagen. Die Gliederung orientiert sich dabei an den vielfältigen Rollen, die dieser deutsche Bauingenieur im Laufe seiner Karriere als Student, Konstrukteur, Hochschullehrer, Kollege, Normungsaktivist, Gutachter, Forscher, Materialprüfer und politisch Engagierter ausfüllte. Der Erforschung der wissenschaftlichen Verdienste Gehlers um den Stahlbetonbau sowie seines Lebens in vier politischen Systemen widmet sich das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt „Willy Gehler (1876–1953) – Spitzenforschung, politische Selbstmobilisierung und historische Rezeption eines bedeutenden Bauingenieurs und Hochschullehrers im ‚Jahrhundert der Extreme‘“ – eine Kooperation des Instituts für Massivbau (Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E. h. Manfred Curbach) und des Lehrstuhls für Technik- und Technikwissenschaftsgeschichte (Prof. Dr. Thomas Hänseroth) der TU Dresden – auf dessen bisher erzielte Ergebnisse sich diese Publikation stützt. Die vorliegende Broschüre begleitet zudem eine studentische Ausstellung in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB), die im Wintersemester 2016/17 im Rahmen eines Praxisseminars am Institut für Geschichte der Technischen Universität Dresden erarbeitet wurde. Insbesondere Heike Marschner (SLUB) und André Rous (Deutsche Fotothek) sowie Jutta Wiese und Dr. Matthias Lienert (Universitätsarchiv der TU Dresden) ist das Ausstellungsteam für vielfältige Unterstützung zu Dank verpflichtet: Ohne ihre Kooperationsbereitschaft und ihre zahlreichen Hinweise wären Ausstellung und Begleitpublikation nicht zu realisieren gewesen. Dank gilt auch Dr.-Ing. Martin Tasche und Dr.-Ing. Silke Tasche für die Bereitstellung von Planunterlagen des ehemaligen Planarchivs Dyckerhoff & Widmann des Instituts für Baukonstruktion der TU Dresden. Hinweis: Die Bildunterschrift auf Seite 4 muss lauten: S. 2: Entwurf zu einer Sternkirche von Otto Bartning, aus: Die Koralle. Magazin für alle Freunde der Natur und Technik 3 (1927/28), Heft 9, Titelbild (Ausschnitt).