Die Dissertationsschrift untersucht sprachliche Handlungsformen, die entsprechend ihrer medialen Vermitteltheit unterschiedlich zwischen den Polen Mündlichkeit und Schriftlichkeit zu verorten sind, und darin realisierte sprachliche Handlungsmuster aus linguistischer, funktionaler Perspektive. Die zentrale Hypothese besteht in der Annahme eines merklichen Einflusses des Mediums auf die in ihm realisierten sprachlichen Interaktionen. Eng damit verbunden ist die Frage nach der kommunikationstheoretischen Verortung ‚Neuer‘ Kommunikationsformen, d.h. solcher, die mithilfe digitaler Medien operieren, z.B. Chat oder Forum. Diese wirken in theoretischer Hinsicht fest gefangen in der Polarität zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Auf einer Metaebene ist die Annahme leitend, dass die hier erfolgte sowohl theoretisch als auch empirisch fundierte Fassung des Gegenstands Chat – als besonders aufschlussreiches Exemplar derartiger Kommunikationsformen – zu grundsätzlichen Aussagen über das komplexe und aktuell in Diskussion stehende Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit beiträgt. Die ausführliche Diskussion des aktuellen Forschungsstandes erfolgt entlang eines funktional geprägten Konzepts von Raum. Sie offenbart die Insuffizienz bislang vorgenommener Verortungen neuer Kommunikationsformen, z.B. Chat als medial schriftliche und zugleich konzeptionell mündlich. Denn oftmals erfolgen diese Verortungen lediglich anhand von Analysen einzelner Fallbeispiele, heterogener Korpora bzw. ausschließlich theoriegeleitet. Die dazu verwendeten Modelle sind häufig unzureichend, da sie dem Gegenstand nicht angemessen sind. In nahezu allen Arbeiten ist die Frage nach der Gesprächshaftigkeit von Chat latent. Sie wird primär auf der Folie einer prototypischen Mündlichkeit zu beantworten versucht. Das dazu in der Mehrheit der Arbeiten herangezogene Nähe-/Distanz-Modell von Koch/Oesterreicher (1985) erreicht dabei eine Prominenz, die dessen Antimedialitätsposition (Wrobel 2010) geradezu diametral entgegen läuft. Denn trotz der im Modell zentral verankerten Medialität bleibt diese bei genauerer Betrachtung unausgeführt. Aus diesem Grund wird in der Arbeit eine modifizierte Modellvariante vorgeschlagen, die insbesondere die differenzierte Einordnung Neuer Kommunikationsformen erlaubt, indem neben den zentralen Dimensionen Aktant und Raum eine dritte, Medium, ausführliche Berücksichtigung findet. Der Modellvorschlag ermöglicht in der Folge eine über bisherige Ansätze hinausgehende Erfassung des Gegenstands, auch konzeptionell sowie terminologisch. Er liefert zugleich die Grundlage für eine ausführliche Diskussion gegenstandsangemessener Analysekategorien und -verfahren, die in der Folge zum Einsatz kommen. Der empirische Beleg des medialen Einflusses wird mithilfe eines experimentellen Laborsettings erbracht: Sich funktional entsprechende Diskursarten werden einem explorativen Vergleich unterzogen, indem ein identischer Problemlöseprozess – die kooperative Erzeugung einer schriftlichen Stellungnahme – in drei unterschiedlichen Kommunikationsformen wachsender Zerdehntheit (elementare Sprechsituation, Chat, Forum) durchlaufen wird. Die hochkontrolliert evozierten Teilkorpora bestehen sowohl aus Prozessdaten (Interaktionen ‚auf dem Weg‘ zur fertigen Stellungnahme = Diskurs) als auch Produktdaten (finaler Entwurf der Stellungnahme = Text), was der Gefahr einer einseitig produktorientierten Analyse entgegenwirkt. Die für die Empirisierung des Gegenstandes erfolgte Kombination aus quantitativen (z.B. Berechnung der Type-Token-Relation, Identifikation satzwertiger Propositionen, entsprechende Korrelationen und Effektstärken) sowie qualitativen Verfahren (adaptierte Methoden der funktional-pragmatischen Diskursanalyse, z.B. Identifizierung von Sprechhandlungen und Handlungsmustern) führt zu einem Vergleich vorfindlicher, weitgehend authentischer Kommunikate, der in dieser Weise neuartig ist. Im Ergebnis zeigt sich, dass die ‚Spuren des Apparats‘ (Krämer 2000) je Bedingung insbesondere an der sprachlichen Oberfläche zutage treten. Dies sind für alle drei Bedingungen typische, d.h. solche, die in der Forschungsliteratur bereits vielfach Beachtung gefunden haben, im Chat z.B. Anakoluthe oder Emoticons. Dagegen finden sich in den sprachlichen Tiefenstrukturen sehr vergleichbare, wenn nicht identische Realisierungen sprachlicher Handlungsformen, z.B. nahezu gleichförmige Realisierungen des Musters Begründen. Diese erscheinen weitgehend unabhängig von der Bedingung, in der die Interaktionen realisiert werden. Der Einfluss des Mediums wird durch diese Ergebnisse deutlich relativiert. Literatur: - Koch, Peter u. Oesterreicher, Wulf (1985): Sprache der Nähe – Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte. In: Romanistisches Jahrbuch (36), 15–43 - Krämer, Sybille (2000): Das Medium als Spur und Apparat. In: ebd. (Hrsg.): Medien, Computer, Realität: Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 73–94 - Wrobel, Arne (2010): Raffael ohne Hände? Mediale Bedingungen und Faktoren des Schreibens und Schreibenlernens. In: KöBeS – Kölner Beiträge zur Sprachdidaktik (7), 27–45