Hintergrund und Ziele: Jucken ist ein häufiges klinisches Symptom, welches insbesondere in dessen chronischer Form von den betroffenen Patienten als äußerst quälend beschrieben wird. Die zugrundeliegenden Mechanismen des chronischen nicht Histamin-vermittelten Pruritus sind weitestgehend ungeklärt. In den letzten Jahren wurden deshalb viele Experimente auf zellulärer Ebene und am Tier durchgeführt, wobei zahlreiche neue Mediatoren und deren Rezeptoren identifiziert werden konnten. Aktuell ist jedoch noch nicht geklärt, inwieweit diese Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind. Eine Gruppe von Erkrankungen, bei denen die Patienten oft an chronischem Pruritus leiden, sind cholestatische Lebererkrankungen. Aufgrund mangelnder Informationen über den Entstehungsmechanismus dieses Symptoms existiert bisher noch keine kausale Therapie. In der Vergangenheit wurden verschiedene Theorien diskutiert, die erklären könnten, wie es zur Empfindung Jucken kommt und wie diese von der Empfindung Schmerz zu unterscheiden ist. Ein Erklärungsansatz ist die „labeled-line theory“ von MÜLLER (1837), die besagt, dass für jede Sinnesmodalität – also auch für Jucken – ein separater neuronaler Weg existiert. Im Gegensatz dazu behauptet die „spatial contrast theory of pain and itch“, dass die Empfindung Jucken durch einen starken Kontrast von aktivierten und nicht aktivierten Nozizeptoren zustande kommt (Namer und Reeh 2013). Vor diesem Hintergrund untersuchten wir zunächst die „spatial contrast theory of pain and itch“ genauer. Hierfür testeten wir an verschiedenen Pruritogenen, ob die Applikationsarten Injektion und fokale Applikation unterschiedliche Juck- und Schmerzempfindungen hervorrufen. Ebenfalls wurden diese Experimente für potenzielle Pruritogene des cholestatischen Pruritus wie Lysophosphatidsäure (LPA) und verschiedene Gallensalze analysiert. Zusätzlich wurde bei Patienten mit cholestatischer Lebererkrankung untersucht, ob eine veränderte Erregbarkeit der Nervenfasern das Jucken verursachen könnte. Material und Methoden: Diese Arbeit kann in drei Versuchsteile unterteilt werden: Bei allen drei Versuchsteilen wurden die Reize an der volaren Seite des Unterarms gesetzt. Nach der Applikation wurden Juck- und Schmerzratings anhand einer numerischen Ratingskala (NRS) alle 10 Sekunden über 7 Minuten abgefragt. Die Substanzen wurden zum einen fokal mithilfe winziger Härchen einer tropischen Bohne (Mucuna pruriens) und zum anderen großflächig mit einer Injektion in die Haut eingebracht. Bei allen drei Versuchsteilen wurde die Größe des Axonreflex-Erythems, das durch den jeweiligen Reiz ausgelöst wurde, mithilfe des Laserdoppler-Imagings (LDI) bestimmt. Im ersten Teil wurde an insgesamt 19 gesunden Probanden getestet, inwieweit die unter-schiedliche Applikationsart (fokale Applikation versus Injektion) die Juck- bzw. Schmerzempfindung beeinflusst. Als Testsubstanzen wurden die Pruritogene β-Alanin, BAM8-22, Chloroquin und Cowhage verwendet. Der zweite Teil der Dissertation beschäftigte sich mit der Empfindung gesunder Probanden bei der Injektion und fokalen Applikation verschiedener Gallensalze bzw. Gallensalz-Kombinationen. An insgesamt 19 Probanden wurden folgende Substanzen ausgetestet: Desoxycholat (DC), Glykodesoxycholat (GDC), Ursodesoxycholat (UDC), Glykochenodesoxycholat (GCDC), Gallensalzpool aus DC, UDC und GDC, Kombination aus dem Gallensalzpool und LPA, LPA, dem semi-synthetischen farnesoid X receptor (FXR)-Agonisten INT-747 sowie dem semi-synthetischen TGR5-Agonisten INT-777. Im dritten Teil wurde an insgesamt 24 Patienten mit cholestatischer Lebererkrankung (davon 12 mit Pruritus und 12 ohne Pruritus) die Empfindung von verschiedenen Gallensalzen und elektrischer Stimulation mit Sinus- und Halbsinus-Strompulsen untersucht. Es wurde ein Gallensalzpool (aus DC, GDC und UDC), INT-747 und INT-777 appliziert. Anschließend wurde abgefragt, inwieweit verschiedene Sinus- und Halbsinus-Strompulse Schmerz bzw. Jucken auslösen. Statistische Signifikanzen wurden mithilfe des Programms STATISTICA © ermittelt. Ergebnisse: Zusammenfassend wurden in dieser Studie folgende Ergebnisse erzielt. Die psychophysikalische Testung verschiedener Pruritogene (β-Alanin, BAM8-22, Chloroquin, Cowhage) an gesunden Probanden zeigte mit Ausnahme von β Alanin, dass die intradermale Injektion dieser Substanzen sowohl Schmerz als auch Jucken verursacht. Bei der fokalen Applikation hingegen dominierte sehr deutlich das Jucken gegenüber dem Schmerz. Die natürlichen Gallensalze DC, GDC sowie UDC lösten bei gesunden Testpersonen sowohl nach Injektion als auch nach fokaler Applikation leichtes Jucken aus, wohingegen nach der Applikation des Gallensalzes GCDC keine Empfindung beobachtet werden konnte. Die Injektion der minimal modifizierten Gallensalze INT 747 sowie INT 777 verursachte mehr Schmerz und weniger Jucken. Die fokale Applikation der INTs verursachte hingegen leichtes Jucken. Die psychophysikalische Testung verschiedener Gallensalze/Gallensalz-Kombinationen sowie Halbsinus-/Sinus-Strompulse bei cholestatischen Patienten zeigte bei Patienten mit Pruritus mehr Jucken als bei den Patienten ohne Pruritus. Dies konnte sowohl bei der Injektion des Gallensalzpools (aus DC, GDC und UDC) wie auch bei der fokalen Applikation von INT-747 und INT-777 und bei der elektrischen Reizung mit Halbsinus- und Sinus-Strompulsen verschiedener Intensitäten beobachtet werden. Diskussion: Dass die „spatial contrast theory of pain and itch“ ein vielversprechender Ansatz für die Entstehung der Empfindung Jucken ist, bekräftigen die Ergebnisse der von uns durchgeführten Psychophysik-Studie. Vorwiegend Jucken wurde empfunden, wenn die Testsubstanzen (BAM8-22, Chloroquin, Cowhage) fokal über Spicules in die Haut appliziert wurden, wodurch nur vereinzelte Nozizeptoren aktiviert werden. Schmerz hingegen wurde gespürt, wenn die Substanz viele nebeneinanderliegende Nozizeptoren gleichmäßig aktiviert – wie es bei der intradermalen Injektion der Fall war. Lediglich β-Alanin erzeugte unabhängig von der Applikationsart hauptsächlich Jucken. Dies kann ebenfalls mit der „spatial contrast theory of pain and itch“ erklärt werden: Erstens wird der MrgprD, der Rezeptor von β-Alanin, lediglich auf einer sehr kleinen Untergruppe aller DRGs exprimiert (Dong et al. 2001) und zweitens wird nur die Hälfte von den MrgprD-positiven Nervenfasern von β-Alanin aktiviert (Liu et al. 2012). Dass die Gallensalze an der Entstehung des cholestatischen Pruritus beteiligt sind, wurde bereits öfter diskutiert. In unserer Psychophysik-Studie verursachten jedoch nicht alle Gallen-salze gleichermaßen Jucken. Lediglich DC, GDC sowie UDC – bekannte MrgprX4-Agonisten („unpublished“ Daten von Katharina Wolf, AG Kremer) – erzeugten nach deren Applikation Jucken. GCDC, das den MrgprX4 nicht aktiviert, löste hingegen keine juckende Empfindung aus. Das lässt vermuten, dass der MrgprX4 eine entscheidende Rolle in der Vermittlung des cholestatischen Pruritus spielt. Die psychophysikalische Testung verschiedener chemischer und elektrischer Reize bei Patienten, die an einer cholestatischen Erkrankung leiden, zeigte, dass Patienten mit chronischem Pruritus nach Applikation der Reize mehr Jucken spürten verglichen mit Patienten ohne chronischen Pruritus. Das lässt vermuten, dass die Patienten mit Pruritus eine veränderte Empfindung aufweisen. Ursächlich kann sein, dass diese Patienten über erhöhte Konzentrationen bestimmter Substanzen, welche Prurizeptoren aktivieren, verfügen. Es könnten aber auch veränderte Nervenfasern oder ein Nervenfaserverlust zu dieser veränderten Empfindung führen.