Allm��hlich kommt Bewegung in die Forschungslage zum sogenannten "deutsch-t��rkischen Kino". Nachdem jahrelang nur drei Sammelb��nde und einige verstreute Aufs��tze zum Thema vorlagen, hat die Debatte in letzter Zeit mit Monografien etwa von Nanna Heidenreich (2015), G��zde Naibo��lu (2018) und Muriel Schindler (2021) sowie zwei weiteren Sammelb��nden (vgl. Alk��n 2017, Bayrak u.a. 2020) deutlich an Dynamik gewonnen. Gemein ist den meisten dieser Publikationen der dezidierte Anspruch, das so lange brachliegende Forschungsfeld neu zu konturieren und den Forschungsstand einer kritischen Reflexion zu unterziehen. Diese Kritik richtet sich vornehmlich auf die medien- bzw. filmtheoretische Unterkomplexit��t, mit der das deutsch-t��rkische Kino lange angegangen wurde ��� speziell im Hinblick auf die Frage der Repr��sentation (also die Frage, inwieweit filmische Bilder als Abbilder gesellschaftlicher Realit��t verstanden werden). In diesen Kontext ist auch Die visuelle Kultur der Migration von ��mer Alk��n einzuordnen. Was seine Monografie (zugleich seine Dissertation) auszeichnet, ist, dass er nicht nur theoretisch ambitioniert vorgeht, sondern vor allem in historischer Hinsicht eine Forschungsl��cke schlie��t, indem er den sogenannten "t��rkischen Emigrationsfilm" als komplement��re Formation zu den in Deutschland produzierten Filmen in den Blick r��ckt. Alk��n baut seine (��ber 600 Seiten lange) Arbeit in zwei gro��e Teile auf. Der erste Teil widmet sich ausf��hrlich dem Forschungsstand, den theoretischen und methodischen Vor��berlegungen (etwa zur Abgrenzung des Gegenstands oder zur eigenen Arbeitsweise mit bewegten Bildern) sowie einer Rekapitulation der historischen Kontexte zum Thema Migration sowohl der Filmproduktionen aus Deutschland wie derjenigen aus der T��rkei. Die Filme des im konventionellen Sinne "deutsch-t��rkischen Kinos" (also Produktionen aus Deutschland, die von Menschen mit t��rkischem Migrationshintergrund inszeniert werden bzw. von solchen Menschen handeln) spielen allerdings im weiteren Verlauf der Arbeit keine nennenswerte Rolle mehr. Dies wirft sogleich die Frage nach dem Erkenntnisgewinn von Alk��ns Ansatz auf, beide Formationen zusammenzudenken ��� k��nnte sich dieser Gewinn doch erst dort mit voller ��berzeugungskraft einstellen, wo man die Filme in vergleichender Analyse aufeinander bezieht. Migration wird von Alk��n als "Motiv" in den Filmen, bzw. als "epistemisches Ding" (S. 36f.) verstanden. Das Ziel seiner Arbeit besteht darin, nachzuverfolgen, wie sich dieses Motiv der Migration in den Filmen des Kinos der T��rkei, speziell des Ye��il��am-Kinos der 1970er-Jahre, visuell konstituiert. Alk��n orientiert sich an Theorien visueller Kultur, bezieht aber auch eine ganze Reihe anderer Ans��tze mit ein (Medienphilosophie, Psychoanalyse, Raumtheorie, Erkenntnistheorie, Ph��nomenologie, Science and Technology Studies), um die Schwierigkeiten der Eingrenzung und Verortung dieses Filmmotivs angemessen zu reflektieren. ��ber der Vielzahl der Perspektiven verliert sich allerdings gelegentlich die klare Ausrichtung der Argumentation. Der zweite Teil konzentriert sich auf die Analyse der Beispiele, wobei immer wieder theoretische und historische Exkurse eingestreut werden. (Eine Anmerkung zur Form: ein gr��ndlicheres Lektorat h��tte dem Buch gutgetan und seine Lesbarkeit deutlich erh��ht.) Besonders die historischen Exkurse erweisen sich dabei als wichtig f��r die Einbettung der Filmanalysen. Alk��n nimmt zu Beginn die heuristische Setzung einer "Ereignisstruktur von Emigration" (S. 209) vor, zu deren Status und theoretischer Kontextualisierung man gerne mehr erfahren h��tte ��� etwa mit Blick auf die Frage, inwiefern es sich bei dem untersuchten Korpus um ein Genre handelt, oder wie sein Zusammenhang jenseits einer Gemeinsamkeit von Motiven zu denken ist. Alk��n identifiziert vier Elemente dieser Ereignisstruktur: Abwesenheit, Anreise, Ankunft und Anwesenheit, die er anhand der Untersuchung von entsprechenden Szenen herausarbeitet. Insgesamt bleibt in der Hinf��hrung auf die konkreten Analysen eher vage, wie der theoretische Zugriff auf die Filme gedacht wird. Alk��n spricht sich daf��r aus, "den Fokus auf die film��sthetischen Besonderheiten der Filme nicht durch eine pr��determinierte filmtheoretische ��berlegung einzugrenzen, sondern den materiell unversieglichen ��berschuss des Filmischen gegen��ber eines schriftlichen Beschreibungssystems [sic], das auch die vorliegende wissenschaftliche Arbeit ist, anzuerkennen und an ihm zu arbeiten" (S. 204). Wie aber kann man am "��berschuss des Filmischen gegen��ber eines schriftlichen Beschreibungssystems" arbeiten ohne konsistenten filmtheoretischen Zugang? Hier gibt es einen Bruch zwischen dem theoretischen Anspruch des Buches und der Einl��sung dieses Anspruchs in den Analysen ��� einen Bruch, der ��brigens durchaus typisch ist f��r die akademische Diskussion zu dem Thema. Die ausf��hrlichen Analysen operieren denn auch keineswegs theoriebefreit. Dort, wo sie auf einer koh��renten theoretischen Basis aufbauen ��� etwa in der Analyse der Anfangssequenz von Davaro (R: Kartal Tibet, TR 1981) ��� machen sie die st��rksten Abschnitte des Buches aus. Dort gelingt es Alk��n auf eindrucksvolle Weise, die audiovisuelle Entfaltung des filmischen Bildraums als Entstehungsprozess einer Vorstellung von Sozialit��t nachzuzeichnen, f��r die das Verh��ltnis zwischen Emigrant und Dorfgemeinschaft zum Ordnungsproblem wird (vgl. S. 224-238). Ein anderes Beispiel ist die detailliert kontextualisierte Analyse einiger Sequenzen aus Memleketim (R: Y��cel ��akmakl��, TR 1975), in der das komplexe Zusammenspiel von Produktionsumst��nden, politischen Diskursen, sozialen Kontexten, medialen Konfigurationen und k��nstlerischen Poetiken voll zur Geltung kommt und nachvollziehbar gemacht wird (vgl. S. 445-479). Hingegen entstehen immer dann Probleme, wenn von einer vermeintlich stabilen, ahistorischen Charakteristik von Migration auf die Filme zur��ckgeschlossen wird, anstatt auf die generischen Zusammenh��nge einzugehen, in denen die formalen Verfahren und ��sthetischen Figurationen in ihrer Historizit��t erkennbar werden k��nnten (siehe beispielsweise S. 297, wo es hei��t, Migration sei gekennzeichnet durch "das bin��re Modell einer Medialit��t von An- und Abwesenheit", und darin liege die "Wesensverwandtschaft zur Medialit��t des Filmischen"). ��hnlich irritierend wirkt es, wenn am Beispiel einer Szene, in der betont flash zooms eingesetzt werden, nicht etwa auf die entsprechenden historisch verortbaren Konventionen verwiesen wird (etwa jene des Hollywood-Kinos der 1970er Jahre und sicher auch im damaligen Kino der T��rkei), sondern ein allgemeiner Exkurs zum Verh��ltnis von technischen Medien und menschlicher Wahrnehmungsf��higkeit erfolgt (vgl. S. 410f.). Vor diesem Hintergrund ist m��glicherweise die letzte Drehung in Alk��ns Argumentation zu verstehen, wenn er direkt vor dem kurzen Schlusskapitel die M��glichkeit einer affekttheoretisch basierten Filmanalyse andeutet, die die dauerpr��sente Frage der Repr��sentationslogik noch einmal von einer anderen Seite beleuchtet. So scheinen bis zuletzt leise Zweifel daran angebracht, wie sinnvoll es ist, Migration tats��chlich als "epistemisches Ding" zu abstrahieren. Denn auch der von Alk��n betriebene hohe theoretische Aufwand ��ndert nichts daran, dass der Akt, auf das filmische Bild zu zeigen und festzustellen: "Dies ist Migration", bzw. "dies ist ein Migrant" selbst ein politischer Akt ist: n��mlich ein Akt, der Identit��t zuschreibt und politische Kategorien ��� in welcher medialen Vermittlung auch immer ��� auf die Beschreibung audiovisueller Bilder ��bertr��gt. Wenn man daher mit W. J. T. Mitchell von einer visuellen Kultur der Migration spricht, kommt man nicht darum herum, diese Kultur auch historisch zu situieren: als Ergebnis oder Ausdruck eines Prozesses politischer und kultureller Vergemeinschaftung, der sich durch eine spezifische Sinnlichkeit auszeichnet, zugleich aber unweigerlich Ein- und Ausschl��sse produziert. Die visuelle Konstruktion von Migration lie��e sich dann nur im Wechselspiel zwischen den Bildern und den Diskursen rekonstruieren, auf die die Bilder sich beziehen. Schlie��lich dr��ngt sich diesbez��glich noch eine Frage zum theoretisch-analytischen Ansatz der Arbeit auf: Wieso ist darin eigentlich nur von visueller, nicht aber von audiovisueller Kultur die Rede? Schlie��lich spielt doch die Musik nicht nur, aber gerade auch in den Arabesk-Filmen ��� dem "t��rkischen Migrationsgenre schlechthin" (S. 394) ��� eine zentrale Rolle. Hier scheint ein blinder Fleck der Untersuchung zu liegen; denn es ginge dann letztlich nicht nur um die Sichtbarmachung von Migration (verstanden als epistemisches Problem), sondern um die politische, gesellschaftliche und kulturelle Funktion der Filme, die sich auf den Migrationsdiskurs beziehen. Das Wandern des Arabesk-Modus' von einer kulturellen Formation (verbunden mit der Binnenmigration in der T��rkei) in ein musikalisches Genre, von dort ins Kino und von dort wiederum in einen umfassenden Lifestyle ist daf��r tats��chlich beispielhaft. Erst als audiovisuelle Figurationen, das hei��t, als raumzeitliche Kompositionen mit einer bestimmten Dauer, die auf eine bestimmte Weise mit ihrem Publikum interagieren, werden die Filme in dieser Hinsicht lesbar und analysierbar. Alk��ns Buch stellt eine dringend ben��tigte Erweiterung der Forschung zum Zusammenhang von Kino und Migration zwischen der T��rkei und Deutschland dar. Die ��u��erst ambitionierte Arbeit st����t dabei trotz einiger Probleme eine Vielzahl von Fragen an, die ��ber das Feststellen von Forschungsl��cken hinausgehen: unter anderem solche nach dem Film als Form audiovisueller Diskursivit��t, nach der Bedeutung von Genres f��r ein Denken der historischen Dimensionierung ��sthetischer Erfahrung, nach der Art und Weise, wie sich der Zusammenhang zwischen Film und Gesellschaft jenseits von Repr��sentationslogiken denken l��sst und danach, auf welche Weise die Filmwissenschaft der interdisziplin��ren Besch��ftigung mit filmischen Bildern eine m��glichst anschlussf��hige methodische Grundlage bereitstellen kann. In Bezug auf diese und mehr Fragen erweist sich Alk��ns Buch als ��beraus anregende Lekt��re. Literatur: Alk��n, ��mer (Hg.): Deutsch-T��rkische Filmkultur im Migrationskontext. Verlag: Wiesbaden 2017. Bayrak, Deniz/Din��, Enis/Ekinci, Y��ksel/Reininghaus, Sarah (Hg.): Der deutsch-t��rkische Film. Neue kulturwissenschaftliche Perspektiven. Bielefeld: Transcript 2020. Heidenreich, Nanna: V/Erkennungsdienste, das Kino und die Perspektive der Migration. Bielefeld: Transcript 2015. Naibo��lu, G��zde: Post-Unification Turkish German Cinema. Work, Globalisation and Politics Beyond Representation. London: Palgrave Macmillan 2018. Schindler, Muriel: 'Deutsch-t��rkisches Kino'. Eine Kategorie wird gemacht. Marburg: Sch��ren 2021., [rezens.tfm], Nr. 2021/2