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Das ist gewiss ein scharfes Urteil, aber irgendwie hat man es ja ahnlicherweise schon mal erlebt, als man sich — „um einer neuen Situation zu begegnen“ — abmuhte, eine herangewachsene Organisation oder gar ein Institutionengefuge zu verandern. Und nun soll das gar eine offentliche Verwaltung betreffen — gerne als Burokratie bezeichnet, also (mit Max Weber) als der reinste Typus der legalen Herrschaft auf der Basis „gesatzter Regeln“ mit dem Organisationstyp „Behorde“ und einer inharenten Disziplinaritat, die historisch erlernt (ja exogenetisch vererbt) wurde.

An der Jahreswende 1847/48 beschreiben zwei deutsche Philosophen -ein gelernter Jurist und ein Unternehmersohn -die Globalisierung als Folge okonomischer Gesetzmasigkeiten, basierend auf kritischen Uberlegungen zur Politischen Okonomie:„(Im) Bedurfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz fur ihre Produkte jagt (man) uber die ganze Erdkugel… Die alten nationalen Industrien… werden ver drangt durch neue Industrien deren Einfuhrung eine Lebensfrage fur alle zivili sierten Nationen wird… An die Stelle der alten lokalen und nationalen Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr eine allseitige Abhangigkeit der Nationen voneinander. Und wie in der materiellen so auch in der geistigen Produktion. Die geistigen Erzeugnisse der einzelnen Nationen werden Gemeingut… (man) reist durch… die unendlich erleichterten Kommunikationen alle… Nationen in diese Zivilisation… Die notwendige Folge war die politische Zentralisation.“

Im Juni 1998 empfahlen die Prasidentinnen und Prasidenten der deutschen Landesparlamente, die Gesetzesfolgenabschatzungen („GFA“) zu intensivieren, wobei die Bewahrungsprufung als Mittelpunkt der ex-post-Kontrolle (Verfahren des „Gesetzes-Control-ling„) besonders zu beachten sei.

Die offentliche Verwaltung war und ist vielfaltig mit ihrem politischen und okonomischen Umfeld verwoben. Was die Verwaltung wie tun soll (Vorgaben, Aufgaben) und was sie tatsachlich tun kann (Handlungsspielraum), ergibt sich weitgehend aus der historischen Auspragung dieses Umfeld-Verhaltnisses; vorrangig zum Regierungssystem („Staat“) und zur Wirtschaft, die beide ihrerseits in den gesellschaftlichen und demographischen Wandel einbezogen sind.

Die Anregungen und Vorschlage fur die Entwicklungssteuerung des funktionalen Staates gliedern sich in drei Unterkapitel: Exemplarische Politikfelder Politische Prozesse Handlungsspielraume des Staates einschlieslich Binnenmodernisierung.

Seit einiger Zeit deutet sich erneut ein grundlegender gesellschaftlicher Wandel an. Gesellschaftsanalysen wie David Riesmans „Einsame Masse“ (Riesman 1958), die „Postindustrielle Gesellschaft“ von Daniel Bell (Bell 1975), die Analysen zur dromokratischen Gesellschaft von Paul Virilio (Virilio 1980), neuere Lebensstilanalysen (hierzu z.B. Bourdieu, 1987; Hans Peter Muller 1992), die Diskussion des Wertewandels (z.B. Inglehart 1977 / Klages 1979), Ulrich Becks Analyse der Risikogesellschaft (Beck 1986) sind Indikatoren dieses grundlegenden Wandels von der Industriegesellschaft zur transindustriellen Gesellschaft.

Regierungslehre musse, so Wilhelm Hennis, immer von den grosen Problemen — und zwar „den wirklichen, nicht ausgedachten“ — ausgehen, um dann zu fragen, wie der Regierungsapparat beschaffen und der Regierungsprozes organisiert sein musten, um diese Probleme bewaltigen zu konnen.

In den 20er und 30er Jahren dieses Jahrhunderts faszinierte der Ingenieur Hans Dominik mit seinen Zukunftsromanen jung und alt. Seine „Science fiction“ war nicht zu weit von der Moglichkeit entfernt: fantasievoll aber nicht fantastisch. Von heute —ja schon von 1950 — aus betrachtet, wirken seine damaligen technologischen Visionen schon als ziemlich realistische Szenarios. Und selbst seine etwas laienhaft anmutenden Vorstellungen politischer und sozialer Veranderungen erweisen sich als nicht mehr so abwegig. Am Ende zumeist konfliktreicher Auseinandersetzungen stehen globale Losungen: die neuen Technologien werden „zum Nutzen der ganzen Menschheit“ aus der zunachst regionalen Begrenztheit herausgehoben und technisch und okonomisch so verwertet, das auch „Gegner“ die Innovationen akzeptieren. Zumeist erfolgt diese positive Wendung durch die „soziale Annahme“ des Neuen und durch individuelle Einsicht von Entscheidungstragern in Wirtschaft und Politik. Oder durch eine interessante Mischung staatlicher und privater Initiativen. Wie uberhaupt die okonomische (sprich kapitalistische) Basis als mitwirkende Bedingung der Technisierung angesehen wird. Die technologische Globalisierung uber den Weltmarkt bringt durchaus Vorteile fur die nationalen Wirtschaften. Vor allem lohnt sich die Besiedlung neugewonnener Flachen („Land aus Feuer und Wasser“)2: „... Ein neuer heiliger Fruhling, den das alte Europa nach Asien schickt. Junge Siemensstadter sind es mit ihren Frauen und Brauten, die dorthin gehen. Das sind keine Bauernsiedler, sondern Industriesiedler“.(„Dschingis-Khan“)

Am Ende des 20. Jahrhunderts scheint sich die autonome Handlungsfahigkeit des Staates der pluralistischen Industriegesellschaft weiter zu vermindern. D.h.: die Handlungsgrenzen werden enger, die verbleibenden Spielraume fur selbstbestimmte Entscheidungen werden knapper und das Durchsetzen staatlicher Programme — auch gegen Widerstande („Macht“) — scheint sehr eingeschrankt. Die Handlungsfahigkeit ist abhangig von der Binnenstruktur und den Eigeninteressen des Staates von der Struktur und den Interessen der „Umgebung“ (Gesellschaft) von der Eigenschaft der Problemlagen, die zum Handeln herausfordern oder es mitbestimmen von der verfugbaren Wissensbasis.

Schon immer haben sich Menschen mit den Folgen auseinandergesetzt, die sich aus naturlichen Ereignissen oder aus dem eigenen Tun einstellten. Insoweit sind Folgen das generelle Problem der Menschheit uberhaupt. Wir wollen wissen, was geschieht und warum dies so ist. Damit wir unser zukunftiges Tun an diesem Wissen ausrichten konnen: so oder so!

Ausgangspunkt des klassischen Konzepts der „aktiven Politik“ in den fruhen 70er Jahren war die Kritik an der blos reaktiven, kompensatorischen und kurzfristig orientierten, herkommlichen Politik.18 Von der wachsenden Diskrepanz zwischen der gesellschaftlichen Erzeugung von vorrangig sozio-okonomischen und sozio-kulturellen Schwierigkeiten einerseits und der unzulanglichen wie unpassenden Problemverarbeitungskapazitat andererseits, lies sich ableiten, das eine aktiv gestaltende, langerfristig orientierte Gesellschaftspolitik notig sei (vgl. Tab. 19).

Schon bei der Suche nach erganzenden Denkweisen (Abschn. 1) wurden einige Anleihen bei den Naturwissenschaften gemacht. Dies ist nicht erstaunlich, da sich viele der neuartigen Folgen (vgl. Teil I) — unabhangig von ihrer anthropogenen Verursachung — vorrangig in der Natur entwickeln und Technologiebezug haben.

Die entwickelten Industriegesellschaften stehen vor einem Umbruch. Es spricht vieles dafur, das die Menge neuartiger Folgen — dazu gehoren die „schleichenden Katastrophen“ — zunimmt und das sich dabei die Folgenlast erhoht: fur uns und absehbar fur die nachste Generation.

Es klingt fast wie in der Weihnachtsgeschichte: vor genau 20 Jahren begann ein neuer, heller Stern zu strahlen, und viele von uns erhofften sich den Beginn (ja die Geburt) einer neuen Art des Regierens: neue politische Rationalitat Hoffnung auf die beseelende Wirkung von Planung und Kommunikation (gegen burokratische Verhocktheit) Hochschatzung von Instrumenten und (Sozial-)Techniken.

Die neuartigen Folgen werden zum zentralen Problem fiir eine nachweltverantwortende Politik heranwachsen: Es ist moglich, das der technische Wandel einen Uberschus an negativ bewerteten („bosen“) Folgen produziert, wobei traditionelle Wirkungsfelder (etwa soziale Folgekonflikte) uberschritten werden. Es ist moglich, das die „nachste“ politische Entscheidung — trotz besten Wollens — einen unerwarteten und unerwunschten Folgen-Zyklus auslost. Es ist moglich, das zwischen diesen Moglichkeiten ein prinzipieller (sich aufschaukelnder) Zusammenhang besteht. Vieles, was im I. Teil erortert wurde, spricht dafur.

Nicht nur Personen und soziale Gruppen nehmen die Folgenphanomene wahr und bewerten sie. In den pluralistischen Industriegesellschaften ist auch die Politik sehr schnell betroffen; „man“ erwartet, das die zumindest reagiert. 106

Es ist gewis nicht einfach, sich auf das vielgestaltige Folgenphanomen einzulassen. Die Fulle der Moglichkeiten, in denen sich Folgen offen oder versteckt prasentieren, ist sehr gros (vgl. Teil I). Es gehort schon zum „Wesen“ des Phanomens, das es nicht — jedenfalls nicht sofort — ganzlich zu erfassen und aus jedem Punkt zu erklaren ist. Folgen „ereignen“ sich in der Zukunft.

„Eine Vorhersage kunftiger Situationen ist zumeist nur in beschranktem Umfang und in allgemeiner, wenig detaillierter Form moglich“.179 Aber immerhin dieses!

Es ist unvermeidbar und naturlich, das Menschen standig Folgen produzieren aus ihrer raumlich-zeitlichen Existenz und in Erganzung ihrer (biologischen) Unzulanglichkeit als „tool-making animal“: indem sie erhaltend und abwehrend auf naturliches und kosmisches Geschehen reagieren, indem sie fruher Geschaffenes benutzen, neu kombinieren, weiterentwickeln; indem sie ihre Rolle als soziales (kommunikatives und organisierendes) Wesen spielen.

Aktive Politik ist die vorrangige Aufgabe der Politischen Fuhrung.23 Denn sie mus, angesichts der neuen Folgen und deren Langzeitproblematik innovative und zugleich vertrauenbildende Fahigkeiten entwickeln. Deshalb sind politische Entscheidungen erforderlich, die durch intelligente Folgenanalysen und konsensuale Prozesse vorbereitet werden.

Schon eine oberflachliche Beobachtung der Reaktionsmuster der Politik (Teil I) hat gezeigt, das diese behabige und auswahlende Art sich mit neuartigen Folgen zu befassen, etwas mit den Strukturbedingungen des gesellschaftlichen und des politischen Systems zu tun haben konnte. Eine pluralistische lndustriegesellschaft konkurrenzdemokratischen Typs entwickelt und last offensichtlich ganz bestimmte Wahrnehmungen und Losungen der von und in ihr produzierten „Folgen“ zu. Und auch die Modi der Problembearbeitung durften sich nicht allzu weit von den Strukturparametern dieses sozialen und politischen Systems entfernen.

Die bisher im einzelnen dargestellten Aspekte des erneuerten Konzepts der „aktiven Politik“ lassen sich nun in ihrem Zusammenhang systematisch darstellen (siehe Abb. 62).