Die spätmoderne, neoliberale Gesellschaft hat uns in eine Spirale der Beschleunigung und Entfremdung geführt, die Folgeprobleme wie Klimakrise und Pandemie ausgelöst hat. Antworten zur Lösung dieser – durch Technologien mitverursachten – Probleme sind oft noch mehr und noch komplexere Technologien. So wird ein fehlgeleitetes System fortgeschrieben und die Krisenanfälligkeit immer weiter erhöht. An die mögliche der Reduktion von Komplexität wird dabei oft nicht gedacht. Das Gehen, als „Low-Tech-Technologie“, vereint zahlreiche Chancen in sich: Neben seinem Potenzial für die anstehende globale Decarbonisierung zum Klimaschutz und der Senkung von Gesundheits- und Infrastrukturkosten, bietet seine Aufwertung in der öffentlichen Meinung weitere Potenziale: Eine Verbesserung der Ich-Umwelt-Beziehung, die Transformation des Stadtraums zu einem positiv erlebbaren Sinnesraum und die damit verbundene Erhöhung der Lebensqualität: Das kognitive Potenzial des Gehens kann der Spirale der Beschleunigung und Entfremdung entgegenwirken: Ein dringend notwendiger Wandel von einem EGO- in ein ECO-System, wie es C. Otto Scharmer in seiner „Theorie U“ beschreibt, ist längst erforderlich. Die vorliegende Masterarbeit versucht dem soziokulturellen Feld des Gehens in Wien auf die Spur zu kommen. Die Antworten auf die drei Forschungsfragen zeigen, welche Machtverhältnisse, Narrationslinien, Konfliktlinien und Argumentationsstrategien den Diskurs zum Gehen im Wiener Straßenraum beherrschen, welche manifesten und latenten Sinnkonstruktionen im Dispositiv bestehen, und wie das Gehen genutzt werden kann, um politische und planerische Ziele effizienter zu erreichen. Dazu wurde ein grafisches Dispositivschema „Wirklichkeitskonstruktion Gehen“ konstituiert und analysiert. Zentrales Forschungsobjekt darin ist ein Online-Diskurs einer österreichischen Tageszeitung. Dispositivanalysen wurden noch selten versucht, hier wurde ein neuer theoretischer Zugang entwickelt, der zukünftig sogar an anderen Themen erprobt werden kann. Auch die Analyse von Internet-Foren ist ein junges Forschungsgebiet. Hierfür wurde vom Autor das Instrument der Diskurslinienkategorisierung entwickelt, das sich zur Darstellung des Forums als hilfreich erwiesen hat. Weiters kamen für die Auswertung des Online-Forums eine Inhaltsanalyse nach Mayring und die Feinstrukturanalyse von Textsequenzen nach Froschauer/Lueger zum Einsatz. Die empirischen Ergebnisse aus dem Online-Diskurs wurden in Crosschecks mit der realen Umwelt, sozialphilosophischen Theorien und mit Fachkonzepten der Wiener Stadtplanung verglichen. Daraus wurden die Forschungsfragen beantwortet. Die Masterarbeit zeigt, dass das Automobil, mit seinen Versprechungen von Freiheit, Fortschritt, Geschwindigkeit, Aufschwung, Individualität, Status und unbeschränkter Mobilität, die öffentlichen Straßenräume nachhaltig geprägt hat. Auf latenter Ebene wird es zunehmend zum Substitut, mit dessen Hilfe Selbstwirksamkeitserfahrung ermöglicht wird, und es wird Symbol für die Ersatzbefriedigung individueller Bedürfnisse und Kontrolle im Leben, die wir im alltäglichen Hamsterrad der Wettbewerbsgesellschaft verlieren. Von aufstrebenden Gruppen wird eine faire Umverteilung der Nutzungsflächen im Straßenraum eingefordert. Dadurch könnte in Wien die Erreichung der Klimaziele bei gleichzeitiger Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden. Im öffentlichen Diskurs herrschen Machtkonflikte zwischen Gruppen von Verkehrsteilnehmenden vor. Politik und Planung werden mit ihren abstrakten Zielsetzungen in der Öffentlichkeit schwer verstanden. Das transformative Potenzial des Gehens wird nicht genützt, weil visionäre Narrative fehlen. Die vorliegende Masterarbeit skizziert, wie Sinnklüfte zur BürgerIn überbrückt werden könnten. Sie beschreibt, wie Entschleunigung durch das Gehen zu Selbstwirksamkeitserfahrung, gesellschaftlicher Transformation, besserer Lebensqualität sowie zur Erreichung der Klimaziele beitragen könnten. Der Ausblick reflektiert die im Rahmen der Arbeit entwickelten Analysemethoden. Late modern, neoliberal society has led us into a spiral of acceleration and alienation, which, in turn, has triggered or aided defining challenges such as the climate crisis or the current pandemic. Conventional answers to solving these problems - which are partly caused by technological advances - often include an even greater pish for more and more complex technologies. As a result, a misguided system is perpetuated and made susceptible to further crises. By contrast, alternative solutions involving a reduction of complexity often find only cursory consideration. Walking as a "low-tech technology" creates numerous opportunities: In addition to its contribution to decarbonization , its health benefits and its role in curbing infrastructure expenditures, promoting its public acceptance and status promises additional benefits: An improvement of the relationship between individuals and the environment, the transformation of urban space into a sensory space offering a more immediate and positive experience, and an associated increase in the quality of life. The cognitive promise of walking can counteract the spiral of acceleration and alienation and promote an urgent move from an EGO- to an ECO-system, as described by C. Otto Scharmer in his "Theory U". This master thesis seeks to trace and explore walking as a socio-cultural domain in Vienna. It investigates the power relations, narratives, conflict and argumentative strategies that shape and dominate the discourse on walking in the Vienna street space, and in analyses the observable and latent paradigms persist in the contemporary dispositif. For this purpose, the thesis develops and analyzes a graphical representation of the dispositive entitled " Walking as Construction of Reality", with the online discourse in an Austrian daily newspaper as its central research object. As dispositif analyses are rare in the literature, the thesis develops a new theoretical approach that may also be tested on other topics in future work. The analysis of Internet foruma is also a recent field of research. Here, the author developed an instrument for categorizing discourse lines as a tool for representing the forum. The online forum was further scrutinized using content analysis (as proposed by Mayring), and a detailed structural analysis of text sequences (Froschauer/Lueger). The empirical results from the online discourse were subsequently juxtaposed in cross-checks with the physical environment, with relevant socio-philosophical theories and with applicable professional urban-planning concepts in Vienna. The approach allowed developing answers to the main research questions. The master thesis shows that the automobile, with its promises of freedom, progress, speed, economic development, individuality, status and unconstrained mobility, has had a lasting impact on public street spaces. On a latent level, it is increasingly becoming a substitute for experiences of self-efficacy, and it is serving as a replacement for a satisfaction of individual needs and control in life that we lose in the “everyday hamster wheel” of competitive society. By contrast, aspiring groups are demanding a fair redistribution of usable space in the street space, which could further the achievement of climate goals in Vienna, while also improving the quality of life. Meanwhile, the public discourse remains characterized by power conflicts between different groups of road users. Abstract policy directions and planning objectives are difficult to communicate and not easily understood by the public, and without visionary narratives, the transformative potential of walking remains unrealised. The thesis outlines approaches for bridging the prevalent gaps in communication and understanding could be bridged. It describes how deceleration through walking could contribute to self-efficacy experiences, societal transformation, better quality of life, and the achievement of climate goals. The outlook reflects on the analytical methods developed and applied in the thesis. vorgelegt von: Erich Streichsbier Wien, FH Campus Wien, Masterarb., 2021