An der Schnittstelle von Politikwissenschaft, Geschichte und Sozialanthropologie angesiedelt fragt diese Dissertation nach den Gegebenheiten und Bedingungen inter-kommunitärer Kooperation in der ethnisch-pluralen Gesellschaft des Libanon. Sie untersucht die soziale Basis des Parteienbündnisses zwischen der mehrheitlich maronitisch-christlichen Freien Patriotischen Bewegung (Free Patriotic Movement [FPM]) und der schiitisch-muslimischen Hizbullah ("Partei Gottes"), das 2006 mit der Unterzeichnung eines Memorandum of Understanding (MoU) durch deren Vorsitzende ins Leben gerufen wurde. Sie analysiert dabei die Entstehung dieser Allianz vor dem historischen Hintergrund der maronitisch-schiitischen Beziehungen auf dem Territorium des heutigen Libanon seit dem späten 7. Jahrhundert, stellt ihre Entwicklung und Auswirkungen dar und rekonstruiert das soziale Gefüge und die Motive der Unterstützer. Der Kernzeitraum der Untersuchung erstreckt sich von Mai 2005 bis Mai 2018, beginnend mit den Konsultationen zur Unterzeichnung des MoU bis zu den libanesischen Parlamentswahlen von 2018 und deren unmittelbaren Nachwirkungen. Seit den 1960er Jahren entwickelten schiitische Akteure ein eigenes national-libanesisches Narrativ, welches sie dem seinerzeit vorherrschenden, maronitisch gefärbten nationalistischen Diskurs entgegensetzten. Seit dem Ende des libanesischen Bürgerkriegs (1975-90) spielte hierbei die Hizbullah eine wichtige Rolle. Mit der Präsenz der syrischen Armee in großen Teilen des Landes hatten sich die Machtverhältnisse, zum ersten Mal im modernen Libanon, zugunsten der schiitischen Gemeinschaft verschoben. Ihr revisionistischer Ansatz erhielt nun sowohl syrische als auch offizielle libanesische Unterstützung. Die ehemals privilegierte maronitische Gemeinschaft stellte derweil den Großteil der Opposition und erlebte somit das genaue Gegenteil. Dennoch gingen in der Folge des syrischen Abzugs von 2005 die nominell säkularen Christen der FPM – bekannt für ihre entschiedene Opposition gegen die syrische Vorherrschaft – und die "pro-syrischen" bewaffneten Islamisten der Hizbullah eine bis dahin undenkbare Allianz ein, die seither große Teile der libanesischen schiitischen und maronitischen Gemeinschaften sowie andere Christen mit einbezieht. Das Bündnis überstand die Stürme des Julikriegs 2006 (Israel vs. Hizbullah/Libanon) und die Spillover-Effekte des Bürgerkriegs im benachbarten Syrien (seit 2011), in den die Hizbullah seit 2013 auch offiziell verwickelt ist. Vor diesem Hintergrund sind Vorstellungen, nach welchen sich die Beziehungen zwischen den Gemeinschaften in der Region als ein permanentes Nullsummenspiel mit sektiererischem Charakter darstellen, einer Revision zu unterziehen. Die vorliegende Dissertation argumentiert, dass das Bündnis, das sich mit dem MoU formierte, mehr ist als ein opportunistisches Elitenprojekt, zumal die Basis beider Parteien einen wichtigen Anteil daran hat. Es kann auch nicht primär als "Minderheitenbündnis" erklärt werden, da gemeinsame Interessen, Bedürfnisse und Werte der beteiligten Wählergruppen eine entscheidende Rolle spielen. Die Ergebnisse, die das Bündnis auf der inter-kommunitären und zwischenmenschlichen Ebene hervorbrachte, stellen zudem verbreitete Axiome über die konfliktträchtige Koexistenz von Religionsgemeinschaften im Libanon und im Nahen Osten grundsätzlich in Frage. Tatsächlich stellte die gleichzeitige Zugehörigkeit der Kernwählerschaft von FPM und Hizbullah zu unterschiedlichen Religionen und divergierenden sozio-kulturellen Milieus weder ein grundsätzliches Hindernis für die enge politische Zusammenarbeit der Parteien noch für die fortschreitende soziale Integration ihrer Basis dar. Entgegen gängiger Vorstellungen offenbaren die Ergebnisse dieser Arbeit eine Sphäre des Sozialen im Libanon, in die weder Konfessionalismus noch Klientelismus jemals erfolgreich eingedrungen sind. Der angewandte theoretische Rahmen erfasst diese Sphäre als "Feld der inter-kommunitären Beziehungen", unter Rückgriff auf die Feldtheorie von Pierre Bourdieu (1930-2002)., At the intersection of political science, history and social anthropology, this dissertation asks for the givens and conditions of inter-communal cooperation in the ethnically-plural setting of Lebanon. It explores the social base of the party alliance between the mainly Maronite Christian Free Patriotic Movement (FPM) and the Shi`i Muslim Hizbullah (“Party of God”), which began in 2006, upon their leaders signing a Memorandum of Understanding (MoU). It analyzes the formation of this alliance against the historical background of Maronite-Shi`i relations in the area of modern Lebanon since the late 7th century, portrays its development and effects and reconstructs the social microstructure and the motives of supporters. The core period of investigation extends from May 2005 until May 2018, covering the time of the FPM-Hizbullah alliance (including the preceding phase of consultations) up until the 2018 Lebanese general elections (including their immediate aftermath). As of the 1960s, Shi`i actors gradually created a new Lebanese national narrative that countered the prevailing Maronite centered nationalist discourse. After the Lebanese Civil War (1975-90), this included especially Hizbullah. With the Syrian army present in huge parts of the country, the power relations had, for the first time in modern Lebanon, shifted in favor of the Shi`i community. Now, their counter-hegemonic activism received both Syrian and official Lebanese support. The formerly privileged Maronite community now comprised most opposition and thus experienced the exact opposite scenario. Since the Syrian withdrawal in 2005, however, the self-styled secular Christians of the FPM – notorious for their staunch opposition to Syrian tutelage – and the “pro-Syrian” armed Islamists of Hizbullah formed a previously unthinkable alliance that groups together huge sections of the Lebanese Shi`a and Maronites alongside other Christians. It withstood the storms of the 2006 July War (Israel vs. Hizbullah/ Lebanon) and the spillover effects of the civil war in neighboring Syria (2011–) in which Hizbullah is openly involved since 2013. This requires us to rethink notions, depicting inter-community relations in the region as a pervasive zero-sum game of sectarian make-up. This dissertation argues that the alliance that came about in the wake of the MoU is neither a mere opportunist elite project, as the grassroots have an important share in it, nor can it be explained exclusively in terms of a “minority alliance,” as multiple shared interests, common values and needs of the participating constituencies play an important role. The outcomes it yielded on the inter-communal and inter-personal levels moreover challenge persistent assumptions about the conflict-prone coexistence of religious communities in Lebanon and in the wider Middle East. In fact, the simultaneous belonging of the FPM´s and Hizbullah´s core constituencies to different religions and diverging socio-cultural milieus did neither pose principal obstacles to the parties´ close political cooperation nor to their bases´ progressive social integration. Contrary to conventional wisdom, the findings disclose a sphere of the social in Lebanon which neither sectarianism nor clientelism have ever successfully penetrated. The theoretical framework applied captures this sphere within the “field of inter-community relations,” under recourse to the field theory of Pierre Bourdieu (1930-2002).