1. Die psychosoziale Verfassung bei allogener Stammzelltransplantation und deren Einfluss auf den klinischen Verlauf
- Author
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Naumann, Paul, Gündel, Harald, and Schönfeldt-Lecuona, Carlos
- Subjects
Hemopoietic stem cell transplantation ,HADS-D ,FBK ,PSS ,Depression ,Homotransplantation ,Distress ,Angst ,Isolation ,Psychosoziale Belastung ,Distress Thermometer ,Stress, physiological ,ddc:610 ,DDC 610 / Medicine & health ,Stammzelltransplantation ,Stress, psychological - Abstract
Die allogene Stammzelltransplantation (SZT) ist für hämatoonkologische Patienten eine potenziell kurative jedoch äußerst intensive Therapie, die zum Teil zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen kann. Die Patienten sind vor, während und nach der stationären Behandlungsphase schwer belastet. Ziel der vorliegenden Studie ist es, die psychosoziale Verfassung im akuten Verlauf der SZT zu erfassen, Unterschiede von vor zu nach der Behandlung aufzuzeigen, eine Assoziation zum Outcome der Transplantation zu prüfen und diese Ergebnisse mit den Stresshormonen in Verbindung zu setzen. In der prospektiven Längsstudie mit zwei Messzeitpunkten wurden von November 2013 bis November 2014 Daten von 47 volljährigen Patienten, die ihre erste allogene Stammzelltransplantation erhielten, erfasst. Auf der „Einheit für allogene Blutstammzell- und Knochenmarktransplantationen“ (EBKT) der Universitätsklinik Ulm wurden soziodemografische Variablen erfasst und mit psychometrischen Fragebögen die psychosoziale Belastung, Angst und Depression der Patienten vor und nach SZT erhoben. Zudem wurde zu den Messzeitpunkten (MZP) die psychosoziale Belastung mittels eines Fremdratings des psychosomatischen Konsils bewertet und unter Berücksichtigung der circadianen Rhythmik Stresshormone (Katecholamine, Adrenocorticotropes Hormon [ACTH] und Cortisol) erhoben. Die Probanden haben in den Fragebögen zur psychosozialen Belastung, Angst und Depression nummerisch oder signifikant höhere Angaben vor SZT abgegeben. Auch der Konsildienst hat den Patienten in der Experteneinschätzung des Distress-Thermometers (DT) vor SZT tendenziell belasteter fremdbeurteilt und dabei die Patienten signifikant niedriger belastet eingeschätzt als diese sich selbst. Dies zeigt auf wie schwer es auch für Fachpersonal ist die Belastung eines Patienten zu beurteilen. Mit nummerisch niedrigeren Werten zur Aufnahme stellt die Selbsteinschätzung im DT eine Ausnahme dar. Auch da die Fremdbeurteilung des DT vor SZT höher war ist anzunehmen, dass die Patienten zur Aufnahme zwar hoch belastet waren, diese aber unterdrückt und / oder nicht wahrgenommen haben. Der höheren psychischen Belastung vor SZT steht bedingt durch Nebenwirkungen und Komplikationen eine höhere physische Belastung nach der Transplantation gegenüber. Diese physische Belastung scheint der Grund für die höheren Stresshormone Adrenalin, ACTH und Cortisol im Vergleich zu vor der Therapie zu sein und bedingt, dass nahezu ein Drittel der Patienten sich von der Kategorie unbelastet zur Aufnahme zur Kategorie belastet zur Entisolierung entwickelt haben. Signifikante bzw. knapp nicht signifikante Unterschiede der Stresshormone in Bezug auf die Kategorien konnten nur in der Selbsteinschätzung des DT aufgezeigt werden. Dabei wurden für ACTH entgegen der Erwartung in der Kategorie unbelastet signifikant höhere Werte gemessen. Adrenalin und Dopamin zeigten dagegen wie angenommen knapp nicht signifikant niedrigere Werte als in der Kategorie belastet. Eine Assoziation der Psyche mit bedeutenden Komplikationen und Nebenwirkungen der SZT konnte nicht aufgezeigt werden. Dagegen ist die Studie - soweit bekannt - die erste die für allogene SZT zeigen konnte, dass Probanden mit depressiver und / oder ängstlicher Symptomatik länger hämatologisch isoliert sind. Auch bei dem mit der Isolationszeit einhergehenden Thrombozyten- bzw. Erythrozytenengraftment konnte eine signifikante bzw. knapp nicht signifikant längere Dauer bei ängstlichen und / oder depressiven Patienten gefunden werden. Auf Grund der Studienergebnisse empfiehlt es sich während des stationären Verlaufs neben den routinemäßigen Konsilen auch regelmäßig Screeninginstrumente zu verwenden um das subjektive Empfinden der Patienten zu evaluieren. Diese sollten eine klinische Begutachtung eines Experten jedoch keinesfalls ersetzen. Zur Assoziation der Psyche mit Komplikationen der SZT, die zu erhöhter Morbidität und Mortalität führen (z.B. Mukositis, akute Graft-versus-Host-Disease, Infektionen, Organtoxizität) bedarf es weiterer Forschung. Dabei sollte sowohl der akute Behandlungsverlauf als auch die darauf folgenden Wochen und Monate betrachtet werden. Da die Isolationszeit mit erhöhter Vulnerabilität und dementsprechender Morbidität und Mortalität einhergeht hat, könnte deren Assoziation mit Angst und / oder Depression enormes therapeutisches Potenzial beinhalten. Daher gilt es für zukünftige Studien diese Ergebnisse unter Berücksichtigung von u.a. immunsuppressiver und antidepressiver Medikation zu reproduzieren. Sollte dies gelingen, besteht die Chance Patienten mit ängstlicher bzw. depressiver Symptomatik ausfindig zu machen, um deren Symptomatik bereits vor Aufnahme zur Transplantation zu behandeln und dadurch Isolationszeit zu verkürzen und damit die Morbidität und Mortalität der Stammzelltransplantation zu senken.
- Published
- 2016