Es gibt vier Grunde, die fur die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen der Gruppe ehemaliger judischer Lagerhaftlinge und der Gruppe (ehemaliger) judischer Emigranten sprechen. ▬ Bereits die Deportation lies viele Lagerhaftlinge ahnen, das sie der organisierten, zerstorerischen Gewalt anderer Menschen ausgeliefert waren und sich in hochster Lebensgefahr befanden. Bei der Ankunft im Vernichtungslager, spatestens aber nach den ersten Tagen im Lager wurde diese Ahnung zur Gewisheit. Die Lagerhaftlinge musten jederzeit damit rechnen, gequalt, gefoltert oder ermordet zu werden. Sie befanden sich nicht nur in standiger Lebensgefahr, sondern ihnen war diese auch standig bewust. ▬ Die Erfahrung, sich gegen die willkurlichen, sadistischen Handlungen der Lageraufsicht sowie gegen „Selektionen“ nicht schutzen zu konnen, bildete die Ursache fur stark ausgepragte Gefuhle der Hilflosigkeit. Auch wenn versucht wurde, sich an das Verhalten der Lageraufsicht und die Erfordernisse des Alltags im Lager anzupassen (soweit dies uberhaupt moglich war), so konnten diese Versuche doch in den meisten Fallen das Auftreten von stark ausgepragten Gefuhlen der Hilflosigkeit nicht verhindern. Denn die Haftlinge erlebten immer wieder mit, das sich die willkurlichen, sadistischen Handlungen gegen jeden Menschen richten konnten und das von den „Selektionen“ jeder betroffen sein konnte, so das man auch selbst jederzeit damit rechnen muste, Opfer solcher Handlungen und „Selektionen“ zu werden. ▬ Das Miterleben von Qualen, die anderen Menschen zugefugt wurden, von Morden oder von Todesfallen durch korperliche und seelische Erschopfung stellte eine weitere extreme seelische Belastung dar, die ebenfalls dazu beitrug, das das Erleben der Lagerhaftlinge in hohem Mase von Angsten vor Vernichtung bestimmt gewesen ist. Dabei ist auch zu berucksichtigen, das viele Lagerhaftlinge mit ansehen musten, wie ihnen nahestehende Menschen gequalt oder ermordet wurden, und das sie diesen in ihrer Lage nicht beistehen oder helfen konnten. ▬ Zu den extremen seelischen Qualen traten extreme korperliche Qualen. Zu diesen zahlten harteste „Arbeitsbedingungen“, vollig unzureichende oder fehlende Ernahrung und Kleidung, korperliche Mishandlungen sowie das Leben auf engstem Raum.