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Die Internationale Elektrotechnische Kommission war 1904 in Chicago gegrundet worden und hatte ihre erste Zusammenkunft im Jahre 1906 in London. Dieser folgte ein zehntagiger Ausflug, veranstaltet von der Institution of Electrical Engineers. Die Londoner Zeitung „Daily Mail“ fand das Reiseprogramm so uberladen, das sie einen Bericht „Doing Great Britain in Ten Days“ mit der kurzen Bemerkung endete: „Die Uberlebenden werden bald nachher in ihre Heimatlander zuruckkehren.“

Im Lehrplan jener Jahre fehlte so manches, was nachher in technischen Schulen als unumganglich notwendig angesehen wurde. Wir hatten nur zweijahrigen Unterricht in der Konstruktion von Maschinen aller Art, ohne ein Laboratorium dafur. Der Technologieprofessor hatte ein hubsches kleines, veraltetes Museum ohne Laboratorium, fuhrte uns aber an Samstagen in Wiener Fabriken. Radinger und Hauffe machten einmal im Jahr mit uns einen.etwa zehntagigen Ausflug in Industriegebiete. Trotz des Mangels an Laboratorien lernen wir doch etwas. Bei einer Diskussion in Manchester horte ich einmal ein schones Wort von Cramp, der spater, 1939, als Professor der Universitat Birmingham starb. Er bezeichnete es als den wirklichen Zweck der Schule, „den hochsten Selbstinstruktionskoeffizienten“ zu vermitteln (the highest factor of self-instruction). Ein richtiger Schuler Radingers lernte das, er lernte ein neues Problem anzugreifen. Auch wenn er in Schwimmhosen auf eine. wuste Insel geworfen wurde.

Der Leser wird sich daruber wundern, das ich stets von Schwierigkeiten erzahle, und glaubt vielleicht, das heutzutage die Techniker besser daran sind, weil Wissenschaft und Kunst weiter vorgeschritten sind. Aber es ist nicht so. Das Konstruieren wird niemals eine exakte Wissenschaft sein, und jedesmal, wenn ein neues Problem in Angriff genommen wird, mus der Konstrukteur auf Uberraschungen gefast sein. Es ist das Privilegium des Ingenieurs, Probleme zu losen und Schwierigkeiten zu uberwinden. Der Ingenieur, der sich furchtet, ein neues Problem anzugehen, taugt fur seine Stelle nicht; ebensowenig wie ein anderer, der sich n i e damit begnugt, eine einmal gefundene Losung zu wiederholen und jedes Mal Neues versucht.

Beim ersten Besuch Coubroughs in Berlin fuhrte ich ihn unmittelbar nach dem Abendessen in meine Wohnung, und wir studierten Zeichnungen, Diagramme und Versuchsresultate bis spat in die Nacht. Es war ein ungewohnlicher Empfang fur britische Gaste, die es meistens lieber sahen, das man ihnen das beruhmte Berliner Nachtleben zeigte, aber Coubrough war ein fleisiger Mann und wir hatten ein groses Programm: Am nachsten Tag besichtigten wir alles, was es in der Fabrik, auf den Bahnhofen und Eisenbahnwerkstatten in Berlin und Potsdam gab; am folgenden Abend fuhren wir im Schlafwagen nach Koln und Dusseldorf, wo die Wagen fur die anatolische- und die Bagdadbahn gebaut wurden, und fuhren dann in der Nacht mit dem Schiff nach England.

Im Sommer 1899 fand ich eine Methode, um die Schlupfung veroffentlichte Dr. Moritz v. Hoor eine solche Methode fur Schleifringmotoren, und ich entdeckte, das es moglich war, mit einer nahe der Welle gehaltenen Prufspule den vom Laufer ausstrahlenden Streuflus zu benutjen, um in einem mit der Prufspule verbundenen Telephon die Schlupfung zu horen. Ich nahm auch objektive Aufzeichnungen der Schlupfung durch Betatigung eines Morse-Telegraphenapparates mittels eines Relais vor. Seidener kam einmal von einer Ausschussitzung des elektrotechnischen Vereins mit der Neuigkeit, das Professor Sahulka, der Herausgeber der Zeitschrift, von meinem Bericht so beeindruckt war, das er ihn zum Abdruck in der Sondernummer zur Gelegenheit des Elektrotechnischen Kongresses in Wien gewahlt hatte. Fuir mich war das ein bedeutendes Ereignis: mein erstes Erscheinen in der technischen Welt als Schriftsteller und Forscher. Ungefahr zwanzig Jahre spater meldete Siemens ein Patent fur die gleiche Methode an; aber seine Anmeldung wurde auf Grund meines alten Aufsatzes zuruckgewiesen.

Verwandte und Freunde, die Laien in der Technik sind, haben in der Regel eine ubertriebene Vorstellung vom Umfang und der Wichtigkeit, die irgend eine Erfindung in der Geschichte der Technik gespielt hat. Sie wissen nicht, das es fur jede Erfindung Alternativen gibt. Eine Bekannte von mir war einmal ganz betroffen, als sie in der Zeitung einen Artikel sah, der die allgemeine Einfuhrung der elektrischen Zugbeleuchtung forderte und eine ganze Reihe von auslandischen Systemen anfuhrte. Sie war der Meinung, ich hatte die elektrische Zugbeleuchtung erfunden, und las jetzt die Namen von einem halben Dutzend anderer Erfinder! Sie hatte sich noch mehr gewundert, wenn sie gewust hatte, das dieser Zeitungsartikel von meinen eigenen Freunden, der Gesellschaft fur elektrische Zugbeleuchtung, inspiriert war. Sie wollten, das aus der Offentlichkeit das Verlangen nach Einfuhrung des elektrischen Lichtes kame, wollten aber vermeiden, als die Urheber des Artikels zu erscheinen und erwahnten deshalb alle moglichen Zugbeleuchtungssysteme, mit Ausnahme des eigenen.

Wahrend der Weihnachtsbesuche im stadtischen Gaswerk ar?beitete ich im Kopf einen Vortrag uber „Gewichtsokonomie bei Dynamomaschinen“ aus, den ich unmittelbar nach Neujahr im Wiener elektrotechnischen Verein zu halten hatte. Es wurde nicht verlangt, vor der Versammlung den Aufsatzschriftlich zu uberreichen. Ich sprach fast ohne Aufzeichnungen, hatte aber grose Wandtafeln vorbereitet, fur die Kinzbrunner, der mir dabei half, die vorzugliche Regel hatte: Keine Linie dunner als einen halben Zoll! Wenn man dicke Striche benutjt, dann konnen Zeichnungen nicht mit Einzelheiten uberlastet werden, die wertlos sind, weil sie die Zuhorer nicht sehen konnen.

Unmittelbar nach unserer Trauerfeier fur Franz Joseph kam ein Sergeant und forderte mich auf, meine Sachen zu packen. In zwei Tagen wurde ich nach Stratford gesandt werden, mein Gepack solle sofort abgehen. Ich telegraphierte meiner Frau, die bei der Polizei einen Erlaubnisschein fur einen Besuch in Wakefield anfordern muste. Im Telegramm sprach ich nur von einer Uberstellung nach Stratford, aber meine Frau wuste, das Stratford die erste Etappe auf dem Wege zur Repatriierung war. Am nachsten Tag nahm sie in Wakefield von mir Abschied und acht Tage spater erhielt sie ein Telegramm aus Holland, das meine Ankunft mitteilte. Jetzt begann ihre Arbeit. Sie muste den Haushalt auflosen, und ihre Mutter, die bisher bei ihr gelebt hatte, ubersiedelte zum verheirateten Sohn, der auch unsere Mobel ubernahm. Sie muste die Erlaubnis der englischen Behorden verlangen, um mit den Kindern nach Osterreich zu reisen. Die Kinder waren englische Untertanen. Glucklicherweise waren es Madchen; den Knaben wurde, wie wir horten, die Erlaubnis verweigert, ins Feindesland auszuwandern.

Im Jahre 1900, gerade vor meinem Weggang von Schuckert, wurde ich zu einer Anlage in Karnten gerufen, die Kremenezky vor meiner Zeit errichtet und die der Gesellschaft viel Geld gekostet hatte. Es war eine Papierfabrik mit einer Wasserturbine und einem 1000-Volt-Gleichstrom-Generator, dessen Strom durch eine Hochspannungsleitung ohne Schaltapparate zu einem einzigen Motor in der Papierfabrik geleitet wurde. Generator und Motor hatten Reihenschluswicklung. Durch Inbetriebsetzung und Abstellen der Turbine wurde auch die ganze Fabrik angelassen und abgestellt. Zur Zeit, als die Anlage errichtet wurde, war sie bemerkenswert. Die ersten 1000-Volt-Maschinen arbeiteten nicht zufriedenstellend und musten durch andere ersetzt werden. Seidener er-zahlte mir, das sein Vorganger so sonderbare Ideen hatte, das er bei Herausgabe einer Liste die Leistung in zweiter Potenz mit der Drehzahl erhohte. Wenn er eine Maschine fur eine andere als die normale Spannung zu wickeln hatte, anderte er nicht die Zahl der Kollektorsegmente, sondern wickelte einen Teil der Ankerspulen mit zwei, einen anderen mit vier Windungen. Zu jener Zeit hielten die Kunden Funkenbildung am Kollektor fur eine naturliche Erscheinung und beklagten sich nicht uber zu grose Abnutzung des Kollektors und der Bursten. Es war eine gewohnliche Praxis, gleichzeitig mit jeder neuen Maschine einen Reservekollektor zu bestellen. Zur Zeit meines Besuches arbeitete die elektrische Anlage zufriedenstellend und es wurde nur eine Erweiterung der Anlage besprochen. Aber nach Beendigung der technischen Angelegenheiten wurde ich vom danischen Direktor der Papierfabrik zu einer Mahlzeit eingeladen und mit so viel Glaschen Benediktiner bewirtet, das ich meinen Zug versaumte und an die Fabrik telegraphieren muste, das mein Abschiedsvortrag fur die Arbeiter 24 Stunden spater, als vorgesehen, stattfinden wurde.

Einige Zeit stach meinem Eintritt bei Korting setzte ich eine Anlage in der Julien-Hutte bei Beuthen in Oberschlesien in Betrieb, in der Koksofen-Gasmaschinen zum Antrieb von Wechselstrommaschinen dienten. Die Fachwelt erwartete mit Spannung die praktischen Erfahrungen im Parallelbetrieb von Wechselstrommaschinen bei Antrieb durch Gasmotoren. Die Resultate der Inbetriebsetzung waren gunstig. Fricke empfahl mir, daruber einen Aufsatz zu schreiben und hatte zweifellos einen gewohnlichen Propagandaartikel im Auge. Aber ich hatte einige Zeit fruher unter Benutzung einer Radingerschen Methode eine Untersuchung fur die Gasmaschinen-Abteilung angestellt, und mein Aufsatz uber „Parallelbetrieb von Wechselstrommaschinen, insbesondere bei Antrieb durch Gasmotoren“ brachte uberraschende Resultate. Es wurde auch theoretisch bewiesen, das in Viertakt-Gasmaschinen mit Schwungradern fur einen Ungleichformigkeitsgrad von 1 : 150 die „Pendelgefahr“ weitaus geringer war als bei mehrzylindrigen Dampfmaschinen mit einem Ungleichformigkeitsgrad 1 : 300, wahrend jeder das Gegenteil erwartet hatte. Fricke sandte meinen Aufsatz an Professor Gorges in Dresden, den er von gemeinsamer fruherer Arbeit bei Siemens kannte und der den Parallelbetrieb von Wechselstrommaschinen in einer sehr grundlichen mathematischen Arbeit einige Jahre fruher untersucht hatte.

Im Februar 1905 zeigte ich meine Maschine in auserordentlichen Versammlungen der elektrotechnischen Vereine von Berlin und Wien. Der Vortrag bestand aus drei Teilen, in derem ersten die Theorie und Wandtafeln gezeigt wurden; dann folgten Lichtbilder der Maschinenteile in der Werkstatt und der Installationen der Eisenbahnwagen und schlieslich die Maschine in wirklichem Betrieb, angetrieben von einem Motor, dessen Geschwindigkeit beliebig geandert werden konnte; einmal im Parallelbetrieb mit einer Batterie, dann ohne solche mit unmittelbarer Speisung von Lampen bei stark wechselnder Geschwindigkeit. Ich hatte alles sorgfaltig vorbereitet und dafur gesorgt, das selbst bei einer Storung im Projektionsapparat oder in der Stromzufuhr die Zuhorer den Saal doch mit vollem Verstandnis verlassen sollten. Aber es gab keine Storung; alles ging vorzuglich vonstatten, und es war ein groser Erfolg. Tageszeitungen verlangten von mir einen Bericht, aber ich muste ablehnen, da ich der Veroffentlichung in der elektrotechnischen Zeitschrift nicht vorgreifen wollte und ich mit Gisbert Kapp vereinbart hatte, das die Veroffentlichungen erst nach Einreichung verschiedener auslandischer Patentanmeldungen erfolgen sollte. Obwohl ich bei den Erstausfuhrungen meiner Maschine — wie fruher erwahnt — einige Schwierigkeiten hatte, so war ich doch bei dem Vortrag weitaus glucklicher als Eichberg, der einige Monate vorher im Elektrotechnischen Verein, Berlin, uber seinen Einphasen-Bahnmotor berichtet hatte.