Die Kenntnis des temperaturabhängigen Viskositätsverhaltens η(T) einer Glasschmelze ist für Technik und Wissenschaft aufgrund von Heißumform- und Abkühlprozessen, als auch zur Gewinnung tiefergehender Erkenntnisse über die Schmelzstruktur, z. B. die Fragilität einer Schmelze oder die Rolle der Netzwerkbildner und Netzwerkwandler von großem Interesse. Leider ist es nicht einfach, mit vergleichsweise langsam laufenden viskosimetrischen Methoden die gesamte Viskosität oberhalb der Glasübergangstemperatur Tg bei einigen Glassystemen aufgrund der bei den Messungen auftretenden Kristallisation zu messen. Diese Kristallisation beeinflusst stark die Viskosität der resultierenden heterogenen Systeme. Als Ergebnis wird eine Lücke in den Viskositätsdaten zwischen Tg und der Temperatur der stabilen Flüssigkeit erhalten. Weiterhin wurde in der Literatur gezeigt, dass man die aus kalorimetrischen Experimenten abgeleitete -lg qc vs. 1/Tf-Kurve auf die lg η vs. 1/T-Beziehung überlagern kann, indem man einen sogenannten parallelen Verschiebungsfaktor lg K verwendet. Somit ermöglicht K das Abrufen von η, ohne dass Viskositätsmessungen durchgeführt werden müssen. Dies ist von entscheidender Bedeutung, da die Kristallisationsneigung der hier untersuchten Gläser die Bestimmung der Flüssigkeitsviskosität durch rheologische Methoden in einem weiten Temperaturbereich oberhalb von Tg verhindert. Diese kumulative Doktorarbeit wurde entwickelt, um einen kombinierten experimentellen Ansatz basierend auf Kalorimetrie und Viskosimetrie zu testen und um die Lücke in den Viskositätsdaten für mehrere zerbrechliche Glassysteme zu schließen, die aufgrund schneller Kristallisation auftritt. Ein neues kommerzielles Hochgeschwindigkeitskalorimeter wurde mit konventioneller Kalorimetrie kombiniert, um Abkühl- und Aufheizraten bis zu 40.000 K s−1 (2.400.000 K min−1) abzudecken und durch Anwendung von parallelen Verschiebungsfaktoren Konset, Kpeak und Kend Viskositäten von Tg bis hinunter nach η = 104,9 Pa s zu erhalten. Im Detail handelt es sich bei den in dieser Studie getesteten zerbrechlichen Schmelzen um Silikatgläser (Lithiumdisilikat, Diopsid und Standardglas DGG I), ein Fluorphosphatglas (N-PK52A), Telluritgläser (reines TeO2 und zwei Natriumtelluritgläser) und Zr-basierte metallische Gläser (Vitreloy 105 und AMZ4). Es wurde festgestellt, dass dieser kombinierte experimentelle Ansatz geeignet ist, die η(T)-Lücke für die genannten Schmelzen zu verengen. Neue Daten wurden vom Glasübergangsbereich bis hinunter nach η = 106,3 Pa s für das Fluorphosphatglas, 105,5 Pa s für Silikatgläser, 105,3 Pa s für Telluritgläser und 104,9 Pa s für metallische Gläser erhalten. Eine anschließende stark eingeschränkte Parametrierung der verfügbaren Viskositätsdaten ermöglicht die Beschreibung des gesamten Viskositätsbereichs. Nach dieser experimentellen Vorgehensweise verbleibt eine kleinere Lücke in den Viskositätsdaten aller Gläser. Zusätzlich für reines TeO2, dessen schwache Glasbildungsfähigkeit und starke Kristallisationsneigung zuverlässige Messungen im unterkühlten Zustand verhindern, liefert die Parametrisierung den ersten experimentell ermittelten Viskositätsverlauf. Im Fall der metallischen Gläser deuten die bereits verfügbaren gemessenen Viskositätsdaten aus der Literatur auf die Existenz eines ungewöhnlichen Viskositätsverhaltens hin, den „fragile-to-strong“ (F–S) Übergangs. Die in dieser Dissertation bereitgestellten neuen Daten und Anpassungen grenzten das Auftreten dieses F-S-Übergangs auf eine Region bei höherer Temperatur ein., Knowledge about the temperature-dependent viscosity behaviour η(T) of a glass melt holds strong interest for both, technology and science due to hot-forming and cooling processes as well as to gain deeper knowledge about the melt structure, e.g. the fragility of a melt or the role of the network formers and modifiers. Unfortunately, it is not easy to measure the entire viscosity above the glass transition temperature Tg with comparatively slow running viscometric methods for some glass systems due to crystallisation occurring during the measurements. This crystallisation strongly influences the viscosity of the resulting heterogeneous systems. As a result, a gap in viscosity data is obtained between Tg and the temperature of the stable liquid. Further, it has been demonstrated in the literature that one can superimpose the -lg qc vs 1/Tf curve derived from calorimetry experiments on the lg η vs 1/T relationship by using a so-called parallel shift factor lg K. Thus, K enables retrieving η without the need to conduct viscosity measurements. This holds crucial importance since the proneness to crystallise of the glasses studied here prevents determination of liquid viscosity by rheological methods within a wide temperature range above Tg. This cumulative doctoral thesis was designed to test a combined experimental approach based on calorimetry and viscometry to narrow the gap in viscosity data for several fragile glass systems that appears due to fast crystallisation. A new commercial high-rate calorimeter was combined with conventional calorimetry to cover cooling and heating rates up to 40,000 K s-1 (2,400,000 K min-1) and thereby receive viscosities from Tg down to η = 104.9 Pa s by applying parallel shift factors Konset, Kpeak and Kend. In detail, the fragile melts tested in this study are silicate glasses (lithium disilicate, diopside and standard glass DGG I), a fluorophosphate glass (N-PK52A), tellurite glasses (pure TeO2 and two sodium tellurite glasses) and Zr–based bulk metallic glasses (Vitreloy 105 and AMZ4). It was found that this combined experimental approach is suitable to narrow the η(T) gap for the mentioned melts. New data were obtained from the glass transition region down to η = 106.3 Pa s for the fluorophosphate glass, 105.5 Pa s for silicate glasses, 105.3 Pa s for tellurite glasses and 104.9 Pa s for metallic glasses. A subsequent highly-constrained parameterisation of the available viscosity data makes it possible to describe the entire viscosity range. A smaller gap remains in the viscosity data of all glasses after this experimental procedure. Additionally, for pure TeO2, whose weak glass-forming ability and strong tendency to crystallise prevent reliable measurements in the undercooled state, the parameterisation provides the first experimentally-determined viscosity curve. In case of the metallic glasses, the already-available measured viscosity data from literature suggest the existence of an unusual viscosity behaviour, the fragile-to-strong (F–S) transition. The new data and fits provided in this thesis narrowed down the appearance of this F-S transition to a region at higher temperature.