1. Die Opfer der nationalsozialistischen “Euthanasie-Aktion T4”
- Author
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Hohendorf, G., Rotzoll, M., Richter, P., Eckart, W., and Mundt, C.
- Abstract
Zusammenfassung: Anfang der 90er Jahre wurden im ehemaligen Zentralarchiv des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR bisher unbekannte Dokumente aus der NS-Zeit gefunden, unter ihnen ca. 30.000 Krankenakten. Sie konnten als Teil der bis dahin als verschollen geltenden Akten von Patienten und Patientinnen identifiziert werden, die in den Jahren 1940/41 der ersten zentral organisierten Massenvernichtungsaktion im Nationalsozialismus, der sog. Aktion T4, zum Opfer fielen. In 6 Tötungsanstalten wurden ca. 70.000 Anstaltspatienten und Anstaltspatientinnen aus dem damaligen Reichsgebiet durch Gas getötet. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über den gegenwärtigen Stand der historischen Forschung zur nationalsozialistischen “Euthanasie” und der Interpretation ihrer Entstehungsgeschichte. Anschließend wird die Pilotstudie zu einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten wissenschaftlichen Projekt vorgestellt, das diesen einmaligen Aktenbestand anhand einer größeren Stichprobe (3000 Krankenakten) systematisch bearbeiten soll. Das Projekt kann dazu beitragen, dass die Opfer der NS-“Euthanasie” als Individuen gewürdigt und ihre Schicksale dokumentiert werden. Wesentliche Fragestellung auch für die Vorstudie ist, welche Gruppen von Patienten im Vergleich zu den vorgegebenen Selektionskriterien (Erbkrankheit/Unheilbarkeit/Leistungsunfähigkeit) tatsächlich getötet wurden. So sollen die Motive, Kriterien und Entscheidungsprozesse, die zur Tötung führten, transparenter werden. Auf einer neuen empirischen Basis können dann bislang offene Fragen zum Verhältnis von rassenhygienischen und ökonomischen Motiven und damit zur Planrationalität der NS-Vernichtungsmaßnahmen einer Klärung nähergebracht werden. Als vorläufiges Ergebnis lässt sich festhalten, dass der größte Teil der Opfer über einen langen Zeitraum (Median 10 Jahre) hospitalisiert war und die Diagnose Schizophrenie oder Schwachsinn trug. Etwa ein Drittel der getöteten Patienten wurde als pflegebedürftig und nicht arbeitstätig beschrieben, fast die Hälfte war mit sog. mechanischen Arbeiten beschäftigt und 5% der Opfer leisteten sog. produktive Arbeit.
- Published
- 2002
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