Zusammenfassung Im vorliegenden Beitrag wird dargelegt, • vor welchen Herausforderungen unsere Landwirtschaft steht, • dass die EU-Agrarpolitik hierauf nicht gut zugeschnitten ist, • wie eine grundlegend verbesserte Agrarpolitik aussehen könnte, • weshalb ein solcher Politikwandel aber wenig wahrscheinlich ist, • wie sich die Agrarpolitik wohl stattdessen weiterentwickeln wird.Die wichtigsten Einschätzungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Der Agrarsektor boomt weltweit. Die meisten Regionen Deutschlands wären in der pflanzlichen Produktion auch ohne finanzielle Unterstützung wettbewerbsfähig. In der Nutztierhaltung bestehen demgegenüber größere Risiken für die Wettbewerbsfähigkeit. • Der Agrarstrukturwandel hat den Weg zu einer wettbewerbsfähigeren Landwirtschaft geebnet. Manche Erscheinungsformen dieses Wandels (z. B. „industrielle Tierhaltung“) laufen jedoch den Erwartungen zuwider, die die deutsche Bevölkerung an die Landwirtschaft stellt. • Landwirtschaftliche Produktionsmethoden und -strukturen möglichst gut in Einklang mit den gesellschaftlichen Anforderungen zu bringen, ist im Kern eine Aufgabe der Politik. Sie muss die Leitplanken für die Wirtschaft setzen. Freiwillige Labelling-Aktivitäten der Wirtschaft können die Agrarpolitik ergänzen, diese aber nicht ersetzen. • Die Politik tappt bei der Einschätzung der gesellschaftlichen Erwartungen teilweise im Dunkeln. Beispielsweise werden aus dem Befund „Bevölkerungsmehrheit kritisiert Billigfleisch, kauft es aber“ vollkommen unterschiedliche Schlüsse gezogen – kein guter Startpunkt für eine rationale Politik. Daher sollte die Politik verstärkt in die Analyse gesellschaftlicher Erwartungen und in den öffentlichen Diskurs investieren. • Auch Expertengremien geben auf die Frage „Wo werden die gesellschaftlichen Erwartungen derzeit am stärksten verfehlt?“ recht unterschiedliche Antworten. In Deutschland stehen Nutztierhaltung und Umweltschutz weit oben auf der Agenda, doch auch Flächenversiegelung, Bodendegradation, Phosphorverbrauch, ländliche Entwicklung u. a. m. werden genannt. • Die EU-Agrarpolitik setzt den größten Teil der Finanzmittel für entkoppelte, flächengebundene Direktzahlungen ein, die allen Landwirten zugutekommen und kaum Steuerungswirkung entfalten. Die Zahlungen werden künftig an bestimmte Umweltauflagen gebunden; dieses „Greening“ ist jedoch kein effizientes Instrument zur Erreichung der gesellschaftlichen Ziele für den Agrarbereich. • Die 2. Säule der EU-Agrarpolitik ist besser geeignet, um gesellschaftliche Ziele zu erreichen. Mit den hier verankerten Fördermaßnahmen versucht die Politik gesellschaftlich erwünschtes Verhalten gezielt bei den Landwirten „einzukaufen“. Viele Herausforderungen im Agrarbereich lassen sich jedoch auch mit der derzeitigen 2. Säule nicht bewältigen, da die hier verankerten Maßnahmen noch zu sehr auf „Förderung von Einzelbetrieben“ und zu wenig auf „Erreichung konkreter gesellschaftlicher Ziele“ ausgerichtet sind. • Daraus leitet sich folgender Politikvorschlag ab: Schrittweiser Abbau der 1. Säule und finanzielle Aufstockung der 2. Säule der EU-Agrarpolitik, verbunden mit einer Aufteilung dieser Säule in (a) eine ländliche Entwicklungspolitik (dezentral betrieben, sektorübergreifend konzipiert) sowie (b) eine moderne Agrarstrukturpolitik, deren Ziel es ist, die Landwirtschaft möglichst gut mit den gesellschaftlichen Erwartungen in Einklang zu bringen. • Die Agrarstrukturpolitik der 2. Säule ist bisher im Wesentlichen so konzipiert, dass die Politik Fördertatbestände formuliert (bzw. aus der Vorperiode übernimmt), diese mit gesellschaftlichen Erwartungen begründet und dann alle Betriebe fördert, die die Tatbestände erfüllen. Als Alternativkonzept wäre zu erwägen, dass die Politik künftig zunächst die gesellschaftlichen Ziele formuliert (als konkrete Ziele, nicht als vage „Begründungen“ für Fördermaßnahmen), die Zuständigkeiten für die Zielerreichung klärt, die bestgeeignete Strategie entwickeln lässt und anschließend gemäß dieser Strategie die öffentlichen Mittel so einsetzt, dass die Ziele auch tatsächlich erreicht werden. • Um eine insoweit weiterentwickelte Agrarstrukturpolitik zu etablieren, müssten die EU und auch Deutschland im institutionellen Bereich Neuland betreten. Die derzeit etablierten Politikstrukturen sind darauf ausgerichtet, Produktionsbeschränkungen (Auflagen) zu erlassen und Fördermittel auszuhändigen (Investitionsförderung, Flächenförderung, Forschungsförderung usw.). Für die Entwicklung und Umsetzung kraftvoller, kohärenter Strategien sind sie weniger geeignet, wie die vielen „offen Baustellen“ aus der jüngeren Vergangenheit anschaulich zeigen (Biodiversität, Nutztierhaltung, ländliche Entwicklung, …). • Aus heutiger Sicht erscheint es aber sehr unwahrscheinlich, dass sich die Realpolitik zu solch weitreichenden Veränderungen durchringen wird. Die bestehende Mehrebenen-Verflechtung in diesem Politikfeld, die Gesetzmäßigkeiten des föderalen Politikbetriebes und die Interessenlage einiger wichtiger Akteure sprechen dagegen. • Deshalb ist eher davon auszugehen, dass die jetzt beschlossene Architektur der EU-Agrarpolitik auch über das Jahr 2020 hinaus beibehalten wird, dann aber voraussichtlich mit einer erhöhten Greening-Dosis und einer verstärkten betriebsgrößenbezogenen Staffelung der Direktzahlungen. Je mehr Finanzmittel in diesem Bereich gebunden werden, desto stärker muss dann bei den vielfältigen anderen Herausforderungen im Agrarbereich auf Politikmaßnahmen ausgewichen werden, die eher in die Kategorie „Symbolpolitik“ fallen.///////////Summary This paper shall outline • which challenges our agricultural sector will be facing, • why the current Common Agricultural Policy is not well-suited to meet these challenges, • how an improved agricultural policy could be designed, • why such a fundamental policy switch is rather unlikely to happen, • how agricultural policy will probably evolve instead. The most important findings can be summarized as follows:• The agricultural sector is booming worldwide. In Germany, plant production would probably remain profitably even if there were no public support available. In contrast, the international competitiveness of German livestock production is much more vulnerable. • Agricultural structures have changed considerably, and this change has paved the sector´s way towards international competitiveness. Some features of this structural change (e. g. „factory livestock farming) are not appreciated by the majority of German citizens. • Aligning agricultural production systems with public expectations is in first place a political task. Policy must create “guarding rails” for the economy. Voluntary entrepreneurial actions such as labeling can be regarded as valuable contributions but not as a substitute for political measures. • Policymakers find it difficult to truly assess public expectations with regard to agriculture. When for example the majority of a society is buying cheap meat while complaining at the same time about „industrial“ livestock production, this observation leads to highly different conclusions about the “real” public expectations. The high degree of uncertainty about public expectations is not a good starting point for a rational policy. Hence, policy should invest in the scientific analysis of public expectations and in the public dialogue about the results. • Even in expert groups, there is currently no clear answer to the question „Where is currently the greatest mismatch of public expectations and agricultural reality?”. In Germany, animal welfare and pollution control are relatively high on the agenda, but also other challenges such as loss of agricultural land, degradation of soils, scarcity of phosphorous fertilizers, or rural development are nominated. • The Common Agricultural Policy (CAP) uses the largest share of its budget for per hectarepayments which are decoupled from agricultural production and distributed more or less evenly to all EU regions. These payments have only little impact on the structure of agricultural production. In future, part of these payments will be subject to the so called “greening” (requirements with regard to crop rotation; maintenance of grassland; ecologically sensitive areas). This type of greening, however, cannot be regarded as an efficient policy instrument to achieve public goals in agriculture • In principal, the second pillar of the CAP provides a more suitable concept to efficiently reach public goals. Public money is used in a more target-oriented way to “purchase” certain public goods from a certain number of farmers. For many challenges in the agricultural sector, however, even the second pillar (in its current shape) is still not an adequate policy instrument because the measures are mainly geared to “support farms” and not enough geared to “achieve well-defined public goals”. • This discussion leads to the following policy proposal: Stepwise transfer of the CAP budget from the first into the second pillar, and a separation of the second pillar into (a) one pillar for regional development aid (to be operated in a decentral and cross-sectoral manner) and (b) a modern agricultural structural policy attempting to align agricultural production systems with public expectations. • Until now, the agricultural structural policy in the second pillar basically works as follows: Policy is (a) formulating criteria for individual farm support (or taking such criteria from the past period), (b) justifying these criteria with public expectations, (b) giving financial support to all farms which meet the criteria. An alternative concept would be: Policy is (a) formulating public goals (as well-defined targets and not as vague „justification“ for farm support measures), (b) clarifying responsibilities, (c) developing the best-possible strategy, (d) afterwards using public money according to the strategy so that the goals are really achieved. • Establishing such an agricultural structural policy would mean that the EU and Germany would have to break new ground (with regard to institution-building). Current policy mechanisms are mainly geared to either setting certain limitations (bans, decrees, etc.) or giving financial support for certain activities (investment aid, area payments, research funding). They are less suitable, however, to „purchase“ the development and/or the operation of a powerful, target-oriented, coherent strategy. This is exemplified by a large number of pending “construction areas” (so-called strategies in the fields of biodiversity, animal welfare, rural development etc. – none of them being sensu stricto a strategy) • From where we stand, it seems highly unlikely that such far-reaching policy changes will ever come true. This expectation is backed by a number of reasons, e.g. the current interaction of several „policy levels“ (EU, member state, region), the mechanisms of political opinionmaking in a federal system with many actors, and the economic interest of some important stakeholder groups. • It can rather be expected that the architecture of the current CAP will be maintained beyond 2020, then however with an increased dose of greening and a more pronounced degression of direct payments with increasing farm size. The more financial means are tied in pillar 1 of the CAP, the more our politicians will be forced to address all the unsolved issues in agriculture (animal welfare, climate change, biodiversity, rural development etc.) by policy measures which rather belong to the category „symbolic political gesture”.