Hintergrund: mHealth Applikationen eröffnen vielfältige Möglichkeiten zur individualisierten Prävention, zur Förderung protektiver Verhaltensweisen und des Selbstmanagements von nichtübertragbaren Krankheiten. Gleichzeitig ist deren Entwicklung und Instandhaltung im Vergleich zu browserbasierten eHealth-Anwendungen deutlich aufwändiger und Nutzenden fällt die Auswahl geeigneter Apps oft schwer. Während es zu allgemeine Qualitätskriterien wie Datenschutz, Design, Usability oder Sicherheit bereits Evaluations-Frameworks gibt wurden die notwendigen Bedingungen zur Erreichung einer Verhaltensänderung durch mHealth-Applikationen bei den Nutzenden bislang nicht systematisch recherchiert und zusammengefasst. Innerhalb von zwei separaten Literaturstudien wurden im Rahmen vorliegender Arbeit (1) Techniken zur Nutzungssteigerung und (2) Verhaltensänderungstechniken untersucht und identifiziert, die bei der Planung und Entwicklung von mHealth Applikationen berücksichtigt werden sollten und auf deren Grundlage auch die Entwicklung eines Kriterienkatalogs zur Bewertung von Gesundheits-Apps für die Nutzenden möglich ist. Fragestellungen: Im Rahmen der ersten Teilstudie wurde untersucht, welche Techniken, die in mHealth Applikationen zu NCDs, psychischer Gesundheit und Sucht eingesetzt werden, die Nutzungsadhärenz beeinflussen. Die zweite Teilstudie untersuchte, welchen Effekt Verhaltensänderungstechniken auf die intendierten Verhaltensänderungen haben. Methodik: In Teilstudie 1 wurde zur Identifikation relevanter Techniken zur Nutzungssteigerung eine systematische Literaturübersicht existierender Primärstudien erstellt. Dabei wurden in einem ersten Schritt Techniken identifiziert, die innerhalb der Primärstudien eine Verbesserung der Nutzungsadhärenz bewirkt haben. In einem zweiten Schritt wurde der Einfluss weiterer Faktoren auf die Nutzungsadhärenz untersucht, wie z.B. die Charakteristika der Zielpopulation oder die Art der Bereitstellung der Applikation. In einem dritten Schritt wurde für jede Primärstudie die Nutzungsadhärenz als Quotient beabsichtigter und tatsächlicher Nutzung berechnet, um einen Referenzwert innerhalb der verschiedenen Gesundheitsbereiche zu erhalten und mHealth Applikationen mit hoher Nutzungsadhärenz zu identifizieren. In Teilstudie 2, zur Identifikation relevanter Verhaltensänderungstechniken, wurde eine systematische Übersicht (englisch: Overview oder Umbrella Review) bereits vorhandener systematischer Reviews erstellt. Relevante wissenschaftliche Artikel für beide Teilstudien wurden durch systematische Recherchen in elektronischen Literaturdatenbanken identifiziert. Die relevante Information aus den Artikeln wurde jeweils extrahiert und analysiert. Ergebnisse: Die Literatursuche zu Teilstudie 1 ergab insgesamt 2862 potentiell relevante Artikel, von denen 99 für vorliegende Übersicht relevant waren und genauer analysiert wurden. Techniken mit positivem Einfluss auf die App-Nutzung wurden für die 7 Gesundheitsbereiche separat dargestellt, wobei folgende drei Techniken als relevant für alle Gesundheitsbereiche identifiziert wurden: (1) Personalierung bzw. die inhaltliche Anpassung der mHealth App an die individuellen Bedürfnisse der Nutzenden, (2) Erinnerungen in Form individualisierter Push-Notifikationen, (3) ein benutzerfreundliches App-Design und technische Stabilität. 5 Die aus den Primärstudien abgeleitete Nutzungsadhärenz lag durchschnittlich bei 56.0% und war am höchsten bei Lifestyle-Interventionen, welche auf die gleichzeitige Veränderung mehrerer Verhaltensweisen abzielen (60.1%) und am niedrigsten bei mHealth Apps zur Reduktion des Substanzkonsums (46.1%). Weiter ergab die quantitative Analyse eine positive Korrelation zwischen Nutzungsadhärenz und dem Grad der persönlichen Betreuung während der Intervention. Für den Bereich NCD-Selbstmanagement ergab sich eine signifikante positive Korrelation zwischen Nutzungsadhärenz und dem Durchschnittsalter der Studienteilnehmenden. Die Literatursuche zu Teilstudie 2 ergab insgesamt 615 potentiell relevante Artikel, von denen 66 für vorliegende Übersicht relevant waren und genauer analysiert wurden. Für den Bereich NCD-Selbstmanagement ist die Wirksamkeit ausschliesslich App-basierter Programme überwiegend gemischt oder noch unklar, mit der Ausnahme von Apps zum Diabetesmanagement. Zentrale Verhaltensänderungstechniken beim NCD-Selbstmanagement sind möglichst individualisierbare Zielsetzungen hinsichtlich der angestrebten Verhaltensweise (z.B. Einnahme von Medikamenten), die Selbstbeobachtung des Verhaltens (z.B. via Tagebuchfunktion in der App) und Rückmeldungen zum Verhalten (z.B. grafische Darstellung hinsichtlich dem Erreichen oder Nichterreichen des Verhaltensziels). Die Begleitung durch eine reale Fachperson scheint eine wichtige Komponente wirksamer digitaler Programme zur Unterstützung des Umgangs mit chronischen Erkrankungen. Auch die Evidenz zur Wirksamkeit App-basierter Programme zur Änderung des Ernährungsverhaltens ist noch gemischt, wobei eine Ernährungsumstellung, z.B. durch die Steigerung des Obst- und Gemüsekonsums häufiger erreicht werden kann als eine Reduktion der aufgenommenen Energiemenge. Die bislang eingesetzten mHealth Applikationen nutzen überwiegend Verhaltensänderungstechniken, die sich auch in traditionellen Einzel- und Gruppenberatungen zur Veränderung des Ernährungsverhaltens bewährt haben: Individuelle Zielsetzungen, Verhaltensbeobachtung und –rückmeldung sowie soziale Unterstützung. Inwieweit andere Techniken, wie z.B. die Veränderung des Selbstbilds oder soziale Vergleiche wirksam sind, lässt sich auf Grundlage der bisherigen Daten nicht beantworten. Die Wirksamkeit von Apps zur Steigerung körperlicher Aktivität ist mittlerweile wissenschaftlich gut fundiert, wobei insbesondere kranke und gefährdete Bevölkerungsgruppen von diesen profitieren. Auch hier spielen die Festlegung individueller Aktivitätsziele, deren Beobachtung und Feedbacks zu deren Erreichung eine zentrale Rolle. Die Einbeziehung einer realen Fachperson scheint bei diesen Programmen nicht notwendig. Dagegen sind Programme effektiver, welche vom System (z.B. via Bewegungssensor) automatisiert erfasste Daten für die Individualisierung verwenden. Bei Apps zur Gewichtsreduktion und zur gleichzeitigen Veränderung mehrerer Verhaltensweisen (sog. Lifestyle-Interventionen), die meist durch Förderung körperlicher Aktivität und gesunder Ernährung auch auf Gewichtsreduktion zielen, ist die Wirksamkeit gemischt. Zentrale Komponenten sind die Verwendung mehrerer und interaktiver Verhaltensänderungstechniken, insbesondere zur Zielsetzung sowie Verhaltensbeobachtung und Feedback. Bei Programmen zur Verbesserung der psychischen Gesundheit haben sich Elemente der kognitiven Verhaltenstherapie bewährt, um via Internet oder App Angst und Depressivität zu reduzieren. Ähnlich den Selbstmanagement-Programmen bei NCDs scheint auch hier die persönliche Begleitung durch eine Fachperson der Wirksamkeit dienlich. Neben der Selbstbeobachtung des Verhaltens stellen die Veränderung kognitiver Prozesse (z.B. Steigerung positiver Gedanken, kognitiver Flexibilität, wahrgenommener Kontrolle) und von Fähigkeiten (z.B. Anwendung von Mindfulness Skills oder kognitiv-behavioraler Techniken) zentrale Wirkmechanismen dar. Die Evidenz zur Wirksamkeit von App-Programmen zur Reduktion des Alkoholkonsums in der Allgemeinbevölkerung ist bislang gemischt, mit einzelnen positiven aber auch vielen Studien ohne signifikante Ergebnisse. Erfolgreiche Programme zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass sie Nutzenden praktische, leicht umsetzbare Hinweise zum Ersetzen des Alkoholkonsums und zur Problemlösung anbieten; diese sollten von einer als glaubwürdig wahrgenommenen Quelle kommen. Auch die Evidenz zur Wirksamkeit von Apps zur Entwöhnung vom Tabakrauchen ist bislang recht heterogen. In Reviews zu primär Internetbasierten Programmen waren verschiedene Techniken mit der Wirksamkeit assoziiert: das Setzen konkreter Verhaltensziele und Handlungsplanung, Hinweise zur Problemlösung und zu gesundheitlichen Folgen des Rauchens, die Abwägung von Vor- und Nachteilen des Rauchstopps aber auch soziale und medikamentöse Unterstützung. Schlussfolgerungen und Empfehlungen: Zentral für eine hohe App-Nutzung und Wirksamkeit sind Technologien zur Personalisierung und Individualisierung der Inhalte. Persönlich relevante Verhaltensziele sollten durch die Nutzenden festgelegt und deren Grad der Realisierung über die Zeit hinweg durch die App beobachtet werden können. Insbesondere geeignet sind dabei interaktive Funktionen, welche neben dem Grad der Zielerreichung auch Charakteristika der Person und des Kontextes berücksichtigen. Regelmässige Erinnerungen durch die App, welche die individuelle Verfügbarkeit und das Bedürfnis nach Interaktion berücksichtigen, stellen eine wesentliche Voraussetzung dar, um diese zentralen Techniken zur Zielsetzung, Verhaltensbeobachtung und –rückmeldung über einen längeren Zeitraum einzusetzen. Neben diesen automatisierten Funktionen bilden Möglichkeiten zur persönlichen Begleitung und sozialen Unterstützung, insbesondere bei Apps die in klinischen Gruppen eingesetzt werden, ein wesentliches Element für deren Nutzung und Wirksamkeit. Für die regelmässige Nutzung sind ausserdem technische Stabilität sowie ein benutzerfreundliches App-Design relevant. Insgesamt ist die Forschung zu erfolgversprechenden Techniken zur Nutzungssteigerung sowie zu Verhaltensänderungstechniken bei mHealth Apps noch wenig fortgeschritten. Die zugrundeliegenden Studien haben häufig Pilotcharakter, die Umsetzung der Techniken und Operationalisierung der Ergebnisse ist sehr uneinheitlich. Da mHealth Apps meist mehrere Techniken zur Nutzungssteigerung und Verhaltensänderung verwenden, sind kausale Aussagen über einzelne Techniken kaum möglich. Dazu sind zukünftig vermehrt kontrollierte und experimentelle Studien notwendig. Die empfohlenen Techniken zur individualisierten Zielsetzung, Verhaltensbeobachtung, Rückmeldung, Erinnerung und sozialen Unterstützung stellen auch Grundelemente aktueller Modelle zum Gesundheitsverhalten und bewährter kognitiv-verhaltenstherapeutischer Interventionen dar. Deren Integration in mHealth Applikationen bildet ein solides Fundament. Für deren Optimierung sollten zukünftig aber gleichzeitig auch neue Techniken erprobt und überprüft werden, deren volles Potential erst durch digitale Technologien ausgeschöpft werden kann.