1. Primär unentdeckte Tötungsdelikte in Berlin 2007-2015
- Author
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Unger, Maximilian
- Subjects
Berlin ,homicide ,undiscovered ,600 Technik, Medizin, angewandte Wissenschaften::610 Medizin und Gesundheit::610 Medizin und Gesundheit - Abstract
Bei einer aktuell in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Obduktionsrate von unter 5 % schätzen Experten das Verhältnis von entdeckten zu unentdeckten Tötungsdelikten auf 1:2 bis 1:6. Als Hauptursache gilt seit Jahrzehnten die häufig fehlerhafte Durchführung der primären ärztlichen Leichenschau. Denn nur wenn hier ein nicht natürlicher oder ungewisser Tod attestiert wird, besteht üblicherweise die Chance, dass eine Obduktion zur Klärung der genauen Todesursache eingeleitet wird. Methodik Für die Untersuchungsgruppe wurden 16 Fälle primär unentdeckter Tötungsdelikte aus Berlin der Jahre 2007-2015 ausgewählt, bei denen vom leichenschauenden Arzt kein Hinweis auf einen gewaltsamen Tod gefunden wurde. Für die Kontrollgruppe dienten 32 Fälle aus dem als pars pro toto gewählten Jahr 2015, in denen aufgrund des dringenden Verdachtes auf ein Tötungsdelikt eine Sofortobduktion durchgeführt wurde. Ergebnisse Das Durchschnittsalter der Opfer aus der Untersuchungsgruppe lag bei 68 Jahren, das der Opfer aus der Kontrollgruppe bei 40 Jahren. In beiden Gruppen war die Geschlechterverteilung fast paritätisch. Der überwiegende Teil der Opfer aus der Untersuchungsgruppe verstarb aufgrund einer Gewalteinwirkung gegen den Hals (56 %), in der Kontrollgruppe hingegen verstarb ein Großteil aufgrund einer oder mehrerer Stich- und /oder Schnittverletzungen mit nachfolgendem Verbluten (41 %). In beiden Gruppen war der Täter in über 70 % der Fälle männlich und zu einem ähnlichen Prozentsatz stammte er aus dem sozialen Umfeld des Opfers. Sechs der 15 weiblichen Opfer (40 %) in der Kontrollgruppe wurden von ihren Ehemännern oder Lebensgefährten getötet. 81 % der Opfer aus der Untersuchungsgruppe verstarben in der eigenen Wohnung, in der Kontrollgruppe waren es hingegen nur 34 %. Als Tatmotiv konnte in der Untersuchungsgruppe in 37,5 % eine Bereicherungsabsicht und in der Kontrollgruppe bei 60 % ein Streit ermittelt werden. Schlussfolgerung Vor allem bei älteren, allein lebenden und im häuslichen Umfeld Verstorbenen sollte bei der Leichenschau auch bei vermeintlich unauffälligen Szenarien die Möglichkeit eines gewaltsamen Todes bedacht und nicht vorschnell von einem natürlichen Tod ausgegangen werden. Essentiell sind hier-bei die vollständige Entkleidung des Leichnams sowie eine gezielte Suche nach oftmals nur dezen-ten Hinweisen z. B. für eine gewaltsame Halskompression. Auch regelmäßige Fortbildungen, eine angemessene Vergütung der Leichenschau, einheitliche Regelungen oder die Einführung eines amtlichen Leichenschauarztes können zur notwendigen Verbesserung der aktuellen Lage beitragen. Da die Aussagekraft einer äußeren Leichenschau allerdings begrenzt bleibt, ist und bleibt die Obduktion unerlässlich. Ohne eine deutliche Steigerung der Obduktionsrate ist es nahezu unmöglich, das Dunkelfeld unentdeckter Tötungsdelikte merklich aufzuhellen., The autopsy rate in Germany is less than 5 % and experts estimate the ratio of detected to undis-covered homicides to lie between 1:2 and 1:6. For decades, an inadequate performance of the ex-ternal examination of the corpse has been considered to be the main cause. An autopsy – initiated to clarify the cause of death – follows only in the case of certification of an unclear or unnatural man-ner of death. Methodology 16 cases of homicides in Berlin from 2007-2015, which were only discovered as such after a full autopsy, were studied. In all of these, the external examination alone had not provided any evidence of a violent death. As for the control group from 2015, this study contains 32 cases which were examined based on urgent suspicion of a possible homicide. Results The victims´ age in the inspection group was 68 years on average, whereas that of the control group was 40 years. The gender distribution of the victims in both groups is approximately even. In over 50 % of the cases of the inspection group, the cause of death was an external force directed against the neck. However, 41 % of the control group died as a result of stab or incised wound and subsequent fatal haemorrhage. In more than 70 % of the cases, the perpetrator was male and be-longed to the same social environment as that of the victim. The control group presents the result, that 40 % of female victims were killed by their male partner. Whereas 81 % of the inspection group died in their flat, merely 34 % of the control group were found in the same situation. The motifs for homicides show a difference, over one-third in the inspection group purposed enrich-ment, while nearly two-thirds of the deaths of the control group were committed based on conten-tion. Conclusion The possibility of a violent death should be taken more seriously into consideration especially in the case of elderly people, living alone, who died at home. Undressing the corpse completely is an essential part of a targeted search for discreet hints, e.g. violent neck compression. Regular training, an appropriate remuneration for a thorough external examination of the corpse, uniform regula-tions, and the introduction of a coroner could all contribute to the improvement of the current dire situation. A full autopsy remains however, in most cases, indispensable.
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- 2020
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