Plümer, Jorge, Janz, Marcel, Klingebiel, Randolf, Zuhorn, Frédéric, Schäbitz, Wolf-Rüdiger, Rogalewski, Andreas, and ARRAY(0xa9b83d8)
Hintergrund: Ein hyperosmolares hyperglykämisches Syndrom (HHS) ist ein klinisches Syndrom, das eine Hyperglykämie, Serumhyperosmolalität sowie eine intrazelluläre Dehydratation mit geringer oder fehlender Ketoazidose umfasst. Es stellt eine Komplikation des Typ-2-Diabetes mellitus dar und kann infolge akuter Infektionen, Einnahme von Medikamenten, die die Glukosetoleranz beeinträchtigen (Glukokortikoide) oder den Flüssigkeitsverlust erhöhen (Diuretika) sowie durch ein Absetzen oder Fehler in der Befolgung des Diabetestherapieplans auftreten. Die geschätzte Mortalitätsrate von bis zu 20 % ist deutlich höher im Vergleich zur diabetischen Ketoazidose (< 1 %). Fallbericht: Wir beschreiben den Fall eines 40-jährigen männlichen Patienten und Patientinnen mit bekannter Leberzirrhose CHILD A (äthyltoxisch sowie infolge chronischer Hepatitis C), Z. n. Opiatabhängigkeit und arteriellem Hypertonus. Die Aufnahme erfolgte aufgrund einer seit Tagen bestehenden fokalen epileptischen Anfallsserie des linken Armes und Todd‘scher Parese. Es bestanden eine Hyperglykämie von 530 mg/dl (HbA1c 10,7 %), eine Hyponatriämie (124 mmol/l) sowie klinisch eine Dehydratation. Im cranialen MRT (cMRT) zeigte sich der seltene Befund einer T2-hypointensen, sukortikalen Enzephalopathie rechts-frontoparietal ohne Schrankenstörung oder Diffusionsrestriktion. Die weitere Diagnostik (Liquoranalyse, ergänzende Labordiagnostik, EEG) erbrachte keine wegweisend pathologischen Befunde. Es erfolgten eine schrittweise Senkung der Blutzuckerwerte durch Insulin, initial auch mit Metformin und Sitagliptin sowie ein kontrolliertes Flüssigkeitsmanagement. Unter antikonvulsiver Therapie mit Levetiracetam (2g/d) und Lacosamid (0,4g/d) sistierten im Verlauf die Anfälle. Das Kontroll-MRT nach 3 Wochen zeigte einen weitgehenden Regress der Enzephalopathie in der rechten Zentralregion. Schlussfolgerungen: Ein HHS ist mit verschiedenen neurologischen Manifestationen assoziiert, u. a. epileptischen Anfällen. Die häufigsten Anfallstypen bei HHS sind fokale motorische Anfälle und Epilepsia partialis continua. In einigen Fällen traten die Anfälle bei einer nur mäßigen Hyperglykämie und ohne signifikante Hyperosmolalität auf. Dies könnte eher mit einer seit langem bestehenden Hyperglykämie (aktuell: HbA1c 10,7 %) zusammenhängen als mit dem Ausmaß der akuten Hyperglykämie. Subkortikale T2/FLAIR-Hypointensitäten sind das bildgebende Hauptmerkmal der HHS. Im geeigneten klinischen Kontext (Patienten und Patientinnen mit Krampfanfällen, Serumhyperglykämie, erhöhtem HbA1c und ohne Ketoazidose) kann die Erkennung dieser MRT-Anomalien Fehldiagnosen vermeiden helfen und zu einer sofortigen Behandlung Anlass geben. Es handelt sich dabei meist um unilaterale und fokale Befunde, hauptsächlich parieto-okzipital und perirolandisch lokalisiert, die eine gute Korrelation mit dem EEG-Fokus aufweisen. Eine mögliche Erklärung stellt eine intrazelluläre Dehydrierung durch Flüssigkeitsverschiebungen im Zusammenhang mit einem Hyperosmolalitätsgradienten dar. Die resultierende zelluläre Dehydratation hemmt den Citratzyklus, was zu einer kompensatorischen Steigerung der Umwandlung von Gamma-Aminobuttersäure (GABA) zu Bernsteinsäure durch die GABA-Transaminase und in der Folge zu einem GABA-Mangel führt, sodass eine neuronale Übererregbarkeit resultiert. Subkortikale passagere T2-Hypointensitäten sind insgesamt seltene Befunde, welche u. a. bei Meningitis, viraler Enzephalitis, venöser Stauung, hämorrhagischem Infarkt und hypoxischem Insult beschrieben wurden. Diese konnten in unserem Fall durch die Zusatzdiagnostik sowie die Reversibilität im Kontroll-MRT ausgeschlossen werden. Zudem stellt der flaue Läsionscharakter der HHS-Enzephalopathie in Abwesenheit von Hämosiderin, zytotoxischem Ödem oder KM-Aufnahme ein Spezifikum in der differentialdiagnostischen Abgrenzung dar. Im Mittelpunkt der Therapie sollten ein kontrolliertes Flüssigkeitsmanagement und die Kontrolle des Blutzuckerspiegels stehen. Es ist abzuwarten, ob eine dauerhafte antikonvulsive Medikation erforderlich ist, da der Befund reversibel war. Bei der Wahl der Antikonvulsiva könnten GABA-steigernde Medikamente aufgrund der oben diskutierten Pathophysiologie erwogen werden, sind aber bei dieser Erkrankung nicht gut untersucht.