Kopp, Matthias V., Muche-Borowski, C., Abou-Dakn, M., Ahrens, B., Beyer, K., Blümchen, K., Bubel, P., Chaker, A., Cremer, M., Ensenauer, R., Gerstlauer, M., Gieler, U., Hübner, I.M., Horak, F., Klimek, L., Koletzko, B.V., Koletzko, S., Lau, S., Lob-Corzilius, T., Nemat, K., Peters, E.M.J., Pizzulli, A., Reese, I., Rolinck-Werninghaus, C., Rouw, E., Schaub, B., Schmidt, S., Steiß, J.O., Striegel, A.K., Szépfalusi, Z., Schlembach, D., Spindler, T., Taube, Christian, Trendelenburg, V., Treudler, R., Umpfenbach, U., Vogelberg, C., Wagenmann, M., Weißenborn, A., Werfel, T., Worm, M., Sitter, H., Hamelmann, Eckard, Hübner, Inga-Marie, Koletzko, Berthold V., Peters, Eva M.J., Steiß, Jens-Oliver, and Striegel, Anne Kathrin
Hintergrund: Die anhaltend hohe Prävalenz allergischer Erkrankungen in westlichen Industrienationen und die eingeschränkten Möglichkeiten einer kausalen Therapie machen eine evidenzbasierte Primärprävention notwendig. Methoden: Die Empfehlungen der in letzter Fassung 2014 veröffentlichten S3-Leitlinie Allergieprävention wurden auf der Basis einer aktuellen systematischen Literatursuche überarbeitet und konsentiert. Die Evidenzsuche erfolgte für den Zeitraum 06/2013 – 11/2020 in den elektronischen Datenbanken Cochrane und MEDLINE, sowie in den Referenzlisten von aktuellen Übersichtsarbeiten und durch Hinweise von Experten. Die aufgefundene Literatur wurde in zwei Filterprozessen zunächst nach Titel und Zusammenfassung und die verbliebenen Arbeiten im Volltext auf Relevanz hin überprüft. Die danach eingeschlossenen Studien wurden nach Evidenzgrade geordnet und die Studienqualität i.S. des Verzerrungspotenzials (niedrig/hoch) angegeben. Die überarbeiteten Empfehlungen wurden unter Beteiligung von Vertretern der relevanten Fachgesellschaften und (Selbsthilfe-)Organisationen formal abgestimmt und konsentiert (nominaler Gruppenprozess). Von 5.681 Treffern wurden 286 Studien eingeschlossen und bewertet. Ergebnisse: Einen wichtigen Stellenwert in der aktualisierten Leitlinie nehmen wieder Empfehlungen zur Ernährung der Mutter während der Schwangerschaft und Stillzeit sowie des Säuglings in den ersten Lebensmonaten ein: Dabei wurden viele der bisherigen Empfehlungen durch die aktuelle Datenlage bestätigt. Präzisiert wurde, dass für den Zeitraum der ersten 4 – 6 Monate nach Geburt nach Möglichkeit ausschließlich gestillt werden soll und auch mit Einführung von Beikost weitergestillt werden soll. Neu ist die Empfehlung, dass eine Zufütterung von kuhmilchbasierter Formulanahrung in den ersten Lebenstagen bei Stillwunsch der Mutter vermieden werden sollte. Ferner wurde festgestellt, dass die Evidenz für eine klare positive Empfehlung für hydrolysierte Säuglingsnahrung bei nicht gestillten Risikokindern aktuell nicht mehr ausreicht. Aktuell wird daher empfohlen zu prüfen, ob bis zur Einführung von Beikost eine Säuglingsanfangsnahrung mit in Studien zur Allergieprävention nachgewiesener Wirksamkeit verfügbar ist. Schließlich wurden auf Basis der EAACI-Leitlinie zur Prävention der Hühnereiallergie die Empfehlung ausgesprochen, durcherhitztes (zum Beispiel verbackenes oder hartgekochtes), aber nicht „rohes“ Hühnerei (auch kein Rührei) mit der Beikost einzuführen und regelmäßig weiter zu geben. Die Empfehlung zur Einführung von Erdnuss in der Beikost wurde für den deutschsprachigen Raum zurückhaltend formuliert: In Familien mit bereits bestehendem regelmäßigem Erdnusskonsum kann zur Prävention einer Erdnussallergie bei Säuglingen mit atopischer Dermatitis die regelmäßige Gabe von erdnusshaltigen Nahrungsmitteln in altersgerechter Form (zum Beispiel Erdnussbutter) mit der Beikost erwogen werden. Vor der Einführung muss insbesondere bei Säuglingen mit moderater bis schwerer AD eine klinisch relevante Erdnussallergie ausgeschlossen werden. Für eine allergiepräventive Wirksamkeit von Präbiotika oder Probiotika, Vitamin D oder anderen Vitaminen in Form von Präparaten fehlt weiterhin ausreichende Evidenz, sodass in der aktuellen Leitlinie erstmals Empfehlungen gegen deren Supplementierung verabschiedet wurden. Die Biodiversität spielt für die Entwicklung einer immunologischen Toleranz gegenüber Umwelt- und Nahrungsmittelallergenen eine wichtige Rolle: So gibt es deutliche Hinweise darauf, dass das Aufwachsen auf dem Bauernhof mit einem geringeren Risiko für die Entwicklung von Asthma und allergischen Erkrankungen assoziiert ist. Dies wird mit einer frühzeitigen unspezifischen Immunstimulation unter anderem durch die größere mikrobielle Biodiversität des Hausstaubs in diesem Lebensraum in Verbindung gebracht. Dieser Aspekt spiegelt sich auch in den Empfehlungen zur Tierhaltung wider, zu der eine differenzierte Stellungnahme erfolgte: In Familien ohne erkennbares erhöhtes Allergierisiko soll die Haustierhaltung mit Katzen oder Hunden nicht generell eingeschränkt werden. Familien mit erhöhtem Allergierisiko (d. h. Vater, Mutter oder Geschwisterkind sind von einer atopischen Erkrankung betroffen) oder bei Kindern mit bereits bestehender atopischer Dermatitis sollten eine Katze nicht neu anschaffen – im Gegensatz dazu sollte von einer Hundehaltung jedoch nicht abgeraten werden. Interventionen zur Reduktion der Exposition gegenüber Hausstaubmilbenallergenen im Haushalt, zum Beispiel die Verwendung milbenallergendichter Matratzenüberzüge („encasings“), sollten nicht mit dem Ziel einer primären Allergieprävention erfolgen. Kinder, die durch einen Kaiserschnitt geboren wurden, haben ein geringfügig erhöhtes Asthmarisiko – dies soll bei der Beratung zum Geburtsmodus außerhalb von Notfallsituationen berücksichtigt werden. Auch aktuelle Arbeiten stützen die Empfehlungen zu Luftschadstoffen: Die aktive und passive Exposition gegenüber Tabakrauch erhöhen das Allergierisiko und sind deshalb zu vermeiden. Die Exposition gegenüber Stickoxiden, Ozon und Feinstaub der Partikelgröße < 2,5 Mikrometer (PM 2,5) ist mit einem erhöhten Risiko, besonders für Asthma, verbunden. Daher sollte die Exposition gegenüber Emissionen gegenüber Stickoxiden, Ozon und Feinstaub (PM 2,5) gering gehalten werden. Die Autor/-innen dieser Leitlinie sprechen sich einhellig für den Erlass entsprechender Verordnungen zur Minimierung dieser Luftschadstoffe aus. Es gibt keine Belege, dass Impfungen das Allergierisiko erhöhen, umgekehrt aber Hinweise, dass Impfungen das Allergierisiko senken können. Alle Kinder, auch Risikokinder, sollen auch aus Gründen der Allergieprävention nach den aktuellen Empfehlungen der STIKO geimpft werden. Schlussfolgerung: Die Konsentierung von Empfehlungen in dieser Leitlinie beruht auf einer umfangreichen Evidenzgrundlage. Die Aktualisierung der Leitlinie ermöglicht evidenzbasierte und aktuelle Empfehlungen zur Prävention allergischer Erkrankungen.