Infektionen mit dem Hepatitis B (HBV) und D Virus (HDV) sind die Hauptursache für Lebertumoren als Folge chronischer Hepatitiden. Trotz Verfügbarkeit der Impfung gegen HBV, welche auch erfolgreich vor HDV Infektionen schützt, sterben jährlich mehr als 800.000 Menschen, vor allem in armen Regionen der Welt, an dieser folgenschweren Erkrankung. Antivirale Therapien mit Interferonen und/oder Nukleos(t)id Analoga ermöglichen es, die chronische Hepatitis in den meisten Fällen unter Kontrolle zu halten. Diese Therapien müssen allerdings meist ein Leben lang erfolgen, bei teilweise gravierenden Nebenwirkungen und bergen nur geringe Aussicht auf vollständige Heilung. Mit dem Jahr 2012 eröffnete sich allerdings ein ganz neues Feld für Therapiemöglichkeiten, da zu diesem Zeitpunkt das ,,Na+/Taurocholate Cotransporting Polypeptide“ (NTCP, Gensymbol: SLC10A1) als spezifischer hepatozellulärer Rezeptor für HBV und HDV identifiziert wurde. NTCP war bis dahin nur als natriumgekoppelter Transporter für Gallensäuren bekannt, welcher in der basolateralen Membran von Leberzellen exprimiert wird und dort Gallensäuren aus dem Blut zurück in Leberzellen transportiert. Somit ist NTCP ein wichtiger Bestandteil des enterohepatischen Kreislaufs der Gallensäuren. Mit seiner zweiten Funktion als Rezeptor für HBV und HDV stellt NTCP ein interessantes therapeutisch nutzbares Zielmolekül dar. Mit einer medikamentellen Blockierung von NTCP wird versucht, den Eintritt (engl „entry“) der beiden genannten Viren zu verhindern. Es dauerte bis zum Jahr 2020, bis der erste sogenannte „Entry-Inhibitor“ für die Therapie von HDV Infektionen zugelassen wurde. Es handelt sich um ein synthetisches Peptid mit dem Markennamen Hepcludex®, das seinen Ursprung in den Virushüllen von HBV und HDV selbst hat und nach subkutaner Applikation an NTCP bindet. NTCP wird dadurch für eine Virusbindung unzugänglich macht. Da besonders in armen Regionen der Welt Bedarf an Therapeutika besteht, ist ein Entry-Inhibitor auf Grundlage eines injizierbaren Peptides jedoch für diesen Bedarf nicht die beste Wahl, da Anforderung an Lagerung und Transport schwerer zu gewährleisten sind als bei einem Medikament in Tablettenform. Hinzu kommt, dass durch dieses Peptid auch die Gallensäuretransportfunktion von NTCP gehemmt wird und so in die Gallensäurehomöostase eingegriffen wird. In der vorliegenden Arbeit konnten Struktur-Wirkungs-Beziehungen aufgezeigt werden, die veranschaulichen, dass eine selektive Hemmung der Virusrezeptorfunktion bei erhaltener Gallensäuretransportaktivität an NTCP grundsätzlich möglich ist. Aus der Gruppe der Betulin-Derivate zeigte 3,28-Di-O-acetyl-29-Hydroxybetulin das beste Profil mit einem IC50 der präS1 Peptid Bindung von 8 µM und einem Selektivitätsindex von 125. Unter den Propanolamin-Derivaten weist Substanz A000295231 das beste Profil auf mit einem IC50 von 16 µM und Selektivitätsindex von 65. Außerdem konnte durch ein einheitliches experimentelles Verfahren ein großer Datensatz generiert werden, der die weitere bioinformatische Aufarbeitung unter Verwendung von Pharmakophor und QSAR Modellen ermöglicht. Es konnte ein virtuelles Screeningverfahren durchgeführt werden, mit dem die Identifizierung neuartiger, potentiell oral anwendbarer Entry-Inhibitoren ermöglicht wird. Unter diesen Substanzen zeigte die Verbindung ZINC000253533654 mit einem IC50 von 9 µM die beste Aktivität, welche auch durch in vitro Infektionsexperimente bestätigt werden konnte. Allerdings liegt der Selektivitätsindex dieser Verbindung bei 1. Trotzdem sind die gewonnenen Daten und Erkenntnisse geeignet, molekulares Medikamentendesign durchzuführen und im Idealfall einen Wirkstoff zu entwickeln, der selektiv die Virusbindung an NTCP hemmt ohne Einfluss auf den Gallensäurekreislauf zu nehmen, bei einfacher oraler Verabreichung. Das Resultat der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit ist eine Plattform, die sowohl experimentell als auch bioinformatisch derart ausgestaltet ist, dass umfangreiche Grundlagenstudien auf dem Weg zu einem Entry-Inhibitor durchgeführt und analysiert werden können. Die in Kapitel 3 erläuterten Begriffe der Wirkungs-Selektivität, Target-Spezifität und Substrat-Spezifität werden dabei mit einbezogen und sind wegweisend bei der Entwicklung neuer HBV/HDV Entry-Inhibitoren aus der Gruppe der small molecules.